KOALITIONEN FOR DEN WA N D E L James D. Wolfensohn Präsident der Weltbankgruppe Rede an den Verwaltungsrat Washington, D.C. den 28. September 1999 1 ch freue mich sehr, Sie auf diesen Jahrestagungen der Weltbankgruppe und des Internationalen Währungsfonds begrüßen zu können. Ich möchte dem Vorsitzenden, Mahesh Acharya, dessen Arbeit in Nepal ein tiefes Verständnis für die Probleme offenbart, die ich heute ansprechen möchte, meine Anerkennung bezeugen - ebenso meinem Kollegen und Freund Michel Camdessus. Un- sere Zusammenarbeit gestaltet sich immer enger, und ich be- grüße das bemerkenswerte Team, dem er vorsteht. Herr Vorsitzender, ich habe in der Vergangenheit bereits vier Mal die Ehre gehabt, vor Ihnen zu sprechen. Im Jahre 1995 sprach ich von der Herausforderung der Ent- wicklung, von der Notwendigkeit von Bildung und Ausbil- dung für Mädchen und von der Notwendigkeit, das Problem der Schuldenlast anzugehen. Ich wies darauf hin, daß die Bank einer internen Umstrukturierung bedürfe und extern Partner- schaften mit einem völlig neuen Elan angehen müsse, Partner- schaften mit anderen Hilf s- und Entwicklungsorganisationen, mit der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor; daß sie mit den Regierungen und Menschen der Länder, denen wir dienen, enger zusammenarbeiten und ihnen verstärkt Gehör schenken müsse. Im Jahre 1996 betonte ich unsere Rolle der "Wissensbank". Ich sprach auch vom "Krebsgeschwür der Korruption". Die Bank verpflichtete sich, den betroffenen Regierungen beim Kampf gegen die Korruption, wo immer wir ihr begegneten, zur Seite zu stehen. Seitdem haben wir nicht nachgelassen, diesen Tages- ordnungspunkt energisch voranzutreiben. 2 Im Laufe desselben Jahres formulierten wir dann zusammen mit unseren Partnern im IWF unseren Ansatz der Schulden- entlastung für die ärmsten Länder. Die HIPC-Initiative be- wirkte einen echten Durchbruch, und auf ihren Tagungen im Anschluß an die auf dem Kölner Gipfel vorgeschlagenen Än- derungen wurden weitere Fortschritte erzielt. Im Jahre 1997 sprach ich von "der Herausforderung der Einbe- ziehung", von der Notwendigkeit, die Entwicklung mensch- lich zu gestalten und die Schwächsten und Verletzlichsten vom Rande der Gesellschaft weg in den Mittelpunkt zu bringen. Vor einem Jahr, als die asiatische Finanzkrise unser Denken beherrschte, sprach ich von "der anderen Krise", der mensch- lichen Krise derer, die zu Armut verdammt waren, und derer, die Hoffnungen geschöpft hatten und ihrer brutal verlustig gegangen waren. Ich sprach von der besonderen Rolle unserer Institution im Umgang mit den Folgen der Krise für die Men- schen und von der dringenden Notwendigkeit, über finanziel- le Lösungen hinauszusehen und die sozialen und strukturel- len Aspekte in die makroökonomischen Aspekte mit einzube- ziehen. Herr Vorsitzender, heute, ein Jahr später, könnten wir versucht sein, uns bequem mit dem Gedanken zurückzulehnen, daß eine Finanzkrise vorbei ist, obwohl diese andere Krise für Millionen fortbesteht. Es ist verlockend, die notwendigen Reformen aufzuschieben, obwohl diese Reformen für Millionen immer noch wichtig sind. Es ist verlockend, von einer überstandenen Überfahrt zu sprechen, obwohl für Millionen armer und arbeitsloser Men- schen immer noch kein Hafen in Sicht ist. 3 Wir kommen heute an der Schwelle eines neuen Jahrtausends zusammen. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen und uns einige grundlegende Fragen stellen. Werden wir den Au- genblick ergreifen und ein visionäres Konzept für eine bessere Welt schaffen? Werden wir beginnen, unsere Anstrengungen nicht nach dem Reichtum weniger, sondern nach dem Bedarf der vielen zu bemessen? Werden wir bereit sein, Rechenschaft zu übernehmen und die für Veränderungen notwendigen An- strengungen zu unternehmen? Wie stellt sich uns die Welt an der Jahrtausendwende dar? Als eine Welt, in der die Lebenserwartung in den letzten vier- zig Jahren stärker als in den letzten viertausend Jahren gestie- gen ist. Eine Welt, in der die Revolution in der Kommunikation den universellen Zugang zu Wissen verspricht. Eine Welt, in der die demokratische Kultur Möglichkeiten für viele geschaf- fen hat. Eine Welt, in der 5,7 Milliarden Menschen in einer Marktwirtschaft leben - vor nur zwanzig Jahren waren es 2,9 Milliarden. Beim näherem Hinschauen sehen wir aber noch etwas Anderes. In diesem Jahr werden die Pro-Kopf-Einkommen in allen Re- gionen außer Ost- und Südasien stagnieren oder abnehmen. In den Entwicklungsländern leben heute, mit Ausnahme von China, 100 Millionen Menschen mehr in Armut als vor zehn Jahren. In mindestens zehn Ländern Afrikas hat AIDS die Lebenserwartung um 17 Jahre verkürzt. Weltweit gibt es 33 Millionen Aids-Fälle, 22 Millionen davon allein in Afrika. 1,5 Milliarden Menschen haben immer noch keinen Zugang zu sauberem Wasser, und 2,4 Millionen Kinder sterben jährlich an Krankheiten, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden. 125 Millionen 4 Kinder besuchen immer noch keine Grundschule. 1,8 Millio- nen Menschen sterben jährlich an Luftverschmutzung in Innenbereichen. Eine Welt, in der sich der Informationsab- stand ständig vergrößert, in der jede Sekunde ein Morgen Wald zerstört wird. Herr Vorsitzender, das Bild ist vielschichtig, und die Heraus- forderungen sind groß. Wir befinden uns aber in einem Au- genblick der Geschichte, in dem wir der Welt eine neue Rich- tung geben können, mit mehr Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit. Es ist eine Zeit, in der wir nicht nur Revue passie- ren lassen, sondern Maßnahmen ergreifen müssen. Meine Kollegen und ich haben beschlossen, daß wir, um unse- ren künftigen Kurs festlegen zu können, mehr über unsere Kunden als Einzelpersonen erfahren müssen. Wir führten eine Untersuchung mit dem Titel "Stimmen der Armen" durch und sprachen mit diesen Menschen über ihre Hoffnungen, ihre Wünsche und über ihre Realität. Mitarbeiter der Bank und von Nicht-Regierungsorganisationen haben 60.000 Antworten von Männern und Frauen aus 60 Ländern zusammengetragen. Lassen Sie mich Ihnen unsere Ergebnisse mitteilen. Armut ist viel mehr als nur eine Frage des Einkommens. Die Armen streben nach einem Gefühl des Wohlergehens, das Seelenruhe bedeutet: Das bedeutet Gesundheit, Gemeinschaft und Sicherheit, ferner Wahlmöglichkeit und Freiheit sowie eine kontinuierliche Einkommensquelle. Wohlergehen bedeutet die Chance zur Ergreifung neuer wirt- schaftlicher Möglichkeiten, etwas von dem diese Menschen glau- ben, daß es ihnen heute verschlossener ist als vor zehn Jahren. Wohlergehen bedeutet persönliche Sicherheit. Um finanziell 5 über die Runden zu kommen, arbeiten inzwischen mehr Frau- en außer Haus, doch das Ungleichgewicht der Geschlechter zu Hause besteht fort; die Gewalt in den Familien nimmt zu. Und Korruption bleibt angesichts des Bestrebens der Armen, Zugang zu öffentlichen Diensten zu erlangen und ihr Auskom- men zu sichern, an der Tagesordnung. Wie lautet die Antwort der Armen auf die Frage, Herr Vorsit- zender, was ihr Leben am meisten verändern würde? Ihre Antwort lautet: Eigene Organisationen, die es ihnen ermögli- chen würden, mit der Regierung, mit Händlern und mit Nicht- Regierungsorganisationen zu verhandeln. Direktunterstützung durch vom Gemeinwesen initiierte Programme, damit sie ihr eigenes Schicksal bestimmen können. Kapitaleigentum vor Ort, so daß sie der Korruption Einhalt bieten können. Sie for- dern, daß Nicht-Regierungsorganisationen und Regierungen ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Lassen Sie mich ihre Welt mit ihren eigenen Worten beschreiben. Eine alte Frau aus Afrika: "Ein besseres Leben bedeutet für mich gesund, friedlich und in liebevoller Umgebung ohne Hunger zu leben." Ein Mann mittleren Alters aus Osteuropa: "Um mich wohlzu- fühlen, muß ich wissen, was morgen mit mir geschieht." Ein junger Mann aus dem Mittleren Osten: "Niemand kann unsere Probleme vermitteln. Wer vertritt uns? Niemand." Eine Frau aus Lateinamerika: "Ich weiß nicht, wem ich ver- trauen soll, der Polizei oder den Kriminellen. Wir selbst sind 6 unsere öffentliche Sicherheit. Wir arbeiten und verstecken uns zu Hause." Eine Mutter aus Südostasien: "Wenn mein Kind etwas zu Essen verlangt, sage ich ihm, daß der Reis kocht - solange, bis es vor Hunger einschläft, denn es gibt keinen Reis." Dies sind starke und authentische Stimmen. Viele vertreten eine neue Generation, die versucht, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Diese Menschen sind sozusagen Aktivposten, keine Wohltätigkeitsempfänger. Wenn ihnen Chancen und Hoffnung geboten werden, können sie ihre Zukunft gestalten. Sie reden von Sicherheit, einem besseren Leben für ihre Kinder, von Freiheit, Familie und von Sorgen und Angst. Während wir hier in Washington gemütlich sitzen, müssen wir auf ihre Wünsche hören, die sich in nichts von den unsri- gen unterscheiden. Nein, die Krise ist nicht vorbei, Herr Vorsitzender. Die Her- ausforderung hat gerade erst begonnen. Die Weltbevölkerung wird im nächsten Monat 6 Milliarden erreichen. Unter den gegenwärtigen Trends werden wir weder das internationale Entwicklungsziel der Halbierung der Armut bis zum Jahre 2015 noch das Ziel einer weltweiten primären Schulerziehung bis zum Jahre 2015 erreichen. Unter den gegenwärtigen Trends werden wir auch das internationale Entwicklungsziel der Umkehr des gegenwärtigen nationalen als auch weltweiten Verlusts der Umweltressourcen bis zu diesem Datum nicht erreichen. Die gegenwärtig 6 Milliarden Menschen auf unse- rem Planeten werden in 25 Jahren auf 8 Milliarden anwachsen. Von diesen 6 Milliarden Menschen müssen 3 Milliarden mit weniger als 2 Dollar pro Tag und 1,3 Milliarden mit weniger 7 als einem Dollar auskommen. Diese erschreckenden Zahlen können durchaus auf 4 beziehungsweise 1,8 Milliarden anstei- gen. Dies ist kein Vermächtnis, das wir unseren Kindern hin- terlassen können. Die Anzahl der Konflikte wird wahrscheinlich zunehmen, die Qualität der Umwelt sich verschlechtern und der Abstand zwischen Arm und Reich noch größer werden. Die Stimmen der Armen werden lauter werden - aber werden sie Gehör finden? Herr Vorsitzender, was haben wir über Entwicklung gelernt? Wir haben gelernt, daß Entwicklung möglich, aber nicht auto- matisch ist. Daß Wachstum wesentlich ist, aber nicht ausreicht, um die Verringerung der Armut zu gewährleisten. Wir haben gelernt, daß Armut stets den vordersten und zentra- len Platz einnehmen muß. Wir haben gelernt, daß die sozialen und strukturellen Aspekte zusammen mit den makroökonomi- schen und finanziellen Aspekten gesehen werden müssen. Wir haben gelernt, Herr Vorsitzender, daß wir Eigentums- beteiligung und Partizipation vor Ort brauchen, damit die Entwicklung real und effektiv ist. Die Tage gehören der Ver- gangenheit an, an denen die Entwicklung in Washington oder den westlichen Hauptstädten oder in irgendeiner anderen Hauptstadt hinter verschlossenen Türen stattfinden konnte. Präsident Mkapa aus Tansania sagte kürzlich auf einer Tagung in Stockholm, welche die Bewertung der Fortschritte des CDF (Comprehensive Development Framework) zum Gegenstand hatte: "Eigentumsbeteiligung an Entwicklungsstrategien und- 8 programmen ist nicht nur eine verständlicherweise nationali- stische Sehnsucht, ein inhärentes und souveränes Recht; sie schafft auch eine begeisterte Bereitschaft und die Vorausset- zungen für harte Arbeit und Selbstentwicklung sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene." Er sagte: "Unser Volk muß ermutigt und in die Lage versetzt werden, Eigentümer seiner Entwicklung zu werden; nicht nur Begünstigter, sondern Ausübender von Entwicklung." Wir müssen diese Mahnung bei der Planung unserer Entwicklungsagendas in den kommenden Jahren berücksichti- gen. Und wir müssen noch weitergehen. Wir müssen unsere eigene Rolle erkennen, wenn wir die Ausübenden von Ent- wicklung unterstützen und nicht behindern wollen, indem wir unsere eigenen Aktivitäten besser koordinieren. Es ist schänd- lich, daß Tansania jährlich 2400 Quartalsberichte für seine Geldgeber erstellen muß. Es ist schändlich, daß Tansania jähr- lich 1000 Abordnungen der Geber erdulden muß. Und Tansa- nia ist bei weitem nicht das einzige Land. Wie sollen wir also vorgehen? Herr Vorsitzender, wir haben in diesem Jahr angesichts der Kenntnis der Notwendigkeit der besseren Koordinierung unserer Anstrengungen, der ganzheit- lichen Natur der Entwicklung und der verstärkten Eigenver- antwortung der betreffenden Länder den Comprehensive Development Framework (CDF- Umfassenden Entwicklungs- rahmen) ins Leben gerufen. Unser Ziel war einfach: die sozialen und strukturellen Aspekte der Entwicklung mit den makroökonomischen und den finan- ziellen Aspekten zu verknüpfen, um so einen ausgewogeneren und effektiveren Ansatz zu erhalten. Die Spieler zusammenzu- 9 bringen, um alle unsere Aktivitäten zu bündeln und zu meh- ren. Um gemeinsam mit der übergreifenden Entwicklungs- gemeinschaft - den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, bilateralen Institutionen, regionalen Entwicklungsban- ken, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor - eine neue Generation echter Partnerschaften aufzubauen. Welche Ergebnisse wurden bislang erzielt? Wir erproben den CDF derzeit zusammen mit unseren Partnern in 13 Ländern. Die Zusammenarbeit und Koordination unserer Arbeit läßt sich besser auf lokaler Ebene lernen. Ich bin nach Unterredungen mit vielen Ministern der Ansicht, daß der Ansatz des CDF inzwischen breite Unterstützung findet. Nicht als Entwurf, Herr Vorsitzender, sondern als Pro- zeß, mit dem wir eine langfristige, ergebnisorientierte Ent- wicklung verfolgen, bei der das jeweilige Land seine Geschicke in Partnerschaft mit der übergreifenden Entwicklungs- gemeinschaft selbst lenkt. Der Entwicklungshilfeausschuß (Development Assistance Committee) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung wird in Kürze über seine Untersuchung der bilateralen und multilateralen Initiativen in Anlehnung an die des CDF berichten. Die Schlußfolgerung wird lauten, daß die Notwendigkeit von Partnerschaft und koordinierteren Anstrengungen breite Anerkennung und Zustimmung findet. Ich freue mich auch, daß wir mit dem Internationalen Wäh- rungsfonds die historische Vereinbarung getroffen haben, zu- sammen mit den Regierungen unserer Mitgliedsländer eine gemeinsame Strategie zur Verringerung der Armut zu entwik- keln. Wir werden in einem Dokument, das für die Programme 10 der einzelnen Institutionen maßgebend sein wird, einen aus- gewogenen Ansatz wählen, der die makroökonomischen und finanziellen Parameter mit den menschlichen, strukturellen und sozialen Aspekten verknüpft. Ich glaube aber, Herr Vorsitzender, daß wir im Laufe der letz- ten 12 Monate noch etwas gelernt haben. Wir haben gelernt, daß die Finanzkrisen und die Armut auf ein und dieselbe Ursache zurückgehen. Die Länder können zwar solide fiskal- und kreditpolitische Maßnahmen ergreifen, wenn sie aber keine gründliche Lenkung und Kontrolle ausüben, wenn sie die Korruption nicht bekämpfen, wenn sie kein umfassendes Rechtssystem haben, das die Menschenrechte, die Eigentums- rechte und Verträge schützt, und dies keinen Rahmen für das Konkursrecht und ein kalkulierbares Steuersystem schafft, wenn sie nicht über ein transparentes und reguliertes Finanz- system mit entsprechenden transparenten Vorschriften und Verhalten verfügen, ist ihre Entwicklung im Grunde brüchig und nicht von Dauer. Was nützt eine Gesetzessammlung, wenn die Richter korrupt sind, wenn die Ärmsten und Schwächsten nur Brutalität von der Polizei erwarten können? Was nützt der Schutz der Verfassung, wenn Frauen auf dem Markt Diskriminierung und zu Hause Gewalt erfahren? Was nützt ein ausländischer Investor, wenn es keine Bilanzierungsrichtlinien und Forderungen nach Transparenz, wenn es kein Vertragsrecht und kein kalkulierbares und ge- rechtes Steuersystem gibt? Was nützt die Privatisierung, wenn es bei Arbeitslosigkeit kein 11 Netz der sozialen Sicherheit und wenn es keine Vorschriften gibt, welche die Öffentlichkeit vor dem privaten Monopol schützen? Lücken in der institutionellen Entwicklung, in der Führungs- und Kontrollstruktur sowie der Mangel an geeignetem und angemessen bezahltem Personal wirken sich verheerend auf die politischen Prozesse, auf die Erbringung von Dienstleistun- gen und auf die Verantwortlichkeit aus. Herr Vorsitzender, wir haben sowohl aus unserer allgemeinen Erfahrung als auch aus unseren CDF-Pilotprogrammen ge- lernt, daß im Rahmen unserer Herausforderung, die Armut zu verringern, der Stärkung der Organisation, menschlichen Ka- pazitäten und der Struktur des Staates, sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene, oberste Priorität eingeräumt wer- den muß. Wir haben gelernt, daß wir bei der Planung der CDF-Schrittfolge vorrangig die Führungs- und Kontrollstrukturen verstärken und die Kapazitäten in Regie- rung und Gesellschaft aufbauen müssen. Dieser Beschluß wird durch eine kürzlich durchgeführte UNDP-Umfrage von 150 gebietsansässigen Koordinatoren bestätigt, von denen über die Hälfte die Notwendigkeit der Stärkung von Führungs- und Kontrollstrukturen sowie Befähigungsförderung als vorrangiges Ziel hervorhob. Dies wurde durch eine kürzliche Umfrage von über 3.600 Privat- betrieben in 69 Ländern, die einen Bedarf nach starken Institu- tionen und staatlicher Regelung auswies, noch untermauert. Dieser Beschluß wird auch durch unsere eigenen Beratungen mit den Armen gestützt, die wiederholt klagen: zu viel Kor- ruption, zu viel Gewalt, zu große Machtlosigkeit und Schwä- che. Sie wünschen ein System, das ihnen Gerechtigkeit und 12 eine Stimme einräumt. Wenn sie dies nicht durch den Gang zur Wahlurne oder durch die Regierung erhalten können, dann durch informelle Organisation außerhalb der Regierung. Was wäre wirklich nötig, um von der Machtlosigkeit zu einer demokratischen Kultur zu gelangen? Was wäre nötig, um von Schwäche zu Aktionsfähigkeit zu gelangen? Was wäre nötig, um von Gewalt zu Frieden und Gerechtigkeit zu gelangen? Zuallererst wird es eines wirklichen Engagements der Führun- gen der einzelnen Länder bedürfen - sowohl der gewählten als auch der mit Finanzmacht und Einfluß ausgestatteten Führer. Es wird der Bereitschaft bedürfen, Regierungs- und Verordnungs- und institutionelle Systeme zu reformieren. Es wird einer starken Unterstützung bei der Befähigungsförderung bedürfen. Es wird einer Polizei bedürfen, die nicht länger als Handlanger der Unterdrückung angesehen wird, sondern als Schutz und Si- cherheit. Es wird starker Einrichtungen vor Ort bedürfen, um eine Annäherung zwischen den Armen und der Regierung zu bewirken. Es wird der Ermächtigung von Menschen vor Ort bedürfen, um ihre eigenen Programme entwickeln und umset- zen zu können, da viel weniger der Korruption anheimfällt, wenn ein Gemeinwesen seine eigenen Mittel verwaltet. Ganz gleich, ob Sie es auf der Regierungs- oder Kommunal- ebene betrachten, ob Sie das Problem unter dem Aspekt der Finanzkrise oder der menschlichen Armut sehen, ob Sie mit Investoren, Bankern oder den Armen sprechen - immer sind Führungs- und Kontrollstrukturen sowie Befähigung die Schlüsselkonzepte. Solange die Armutsbekämpfung auf unse- rer Agenda an erster Stelle steht, muß unsere Arbeit an vorder- ster Front Führungs- und Kontrollstrukturen, Institutionen und Befähigungsförderung zum Inhalt haben. 13 Untersuchungen liefern uns jetzt den Beweis dessen, was uns intuitiv klar war. Eine gute Führungs- und Kontrollstruktur hängt mit einem höheren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt, mit einem höheren Bildungsstand der Erwachsenen und einer niedrigeren Kindersterblichkeitsrate zusammen. Unzureichen- de Führungs- und Kontrollstrukturen - mangelnde Verantwor- tung und Transparenz, Korruption und Verbrechen - sind das Haupthemmnis für Entwicklung und Verringerung der Armut. Unzureichende Führungs- und Kontrollstrukturen drohen das HIPC-Hilfsprogramm zu unterminieren, das nur dann funktio- nieren wird, wenn die freigesetzten Mittel zweckbestimmt zur Verringerung der Armut eingesetzt werden. Bei unzureichen- den Führungs- und Kontrollstrukturen gibt es keinen Fort- schritt in den Bereichen Erziehung, Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung oder ländliche und städtische Entwicklung. Unzureichende Führungs- und Kontrollstrukturen drohen Länder und ganze Völker weg von der wirtschaftlichen Ent- wicklung an den Rand zu drängen und sie dort zu halten, denn wenn Kreditvergabe nur in Ländern mit soliden Strategi- en und Institutionen effektiv ist, fragt sich, wer denjenigen einen Kredit gibt, die schlecht abschneiden? Wir bei der Bank schlagen vor, in den nächsten Jahren großen Wert auf eine Zusammenarbeit mit den Regierungen bei der Stärkung von Führungs- und Kontrollstrukturen zu legen. Kennen wir alle Antworten? Nein. Haben wir allen Sachver- stand? Mit Sicherheit nicht. Wir können nur in Partnerschaft mit anderen in der Entwicklungsgemeinschaft unter Einschluß der Zivilgesellschaft und des Privatsektors erfolgreich sein. In den nächsten Monaten werden wir mit dem UNDP, das auf diesem Gebiet über besondere Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt, und anderen gemeinsam untersuchen, was jeder von uns zur Förderung von Führungs- und Kontrollstrukturen und 14 zur Befähigung beiträgt. Wir werden die Stärken und Erfah- rungen, die jeder von uns einbringt, bewerten und unser ge- meinsames künftiges Vorgehen festlegen. Herr Vorsitzender, eine derartige Agenda erfordert, daß wir uns auf die Wechselwirkung zwischen funktionierenden Syste- men, die bewirken, daß Gesellschaften effektiv funktionieren, konzentrieren. Sie erfordert, daß wir uns auf erprobte und ausgewogene öffentliche Lenkungssysteme mit Kontroll- mechanismen konzentrieren, und daß Regierungen den Kampf gegen Korruption aufnehmen. Sie erfordert ferner Rechts- und Gerichtssysteme, welche die Rechte der Bürger und ihre Unternehmungen auch ohne auf- wendige Regierungen und Geschäftsabschlüsse schützen. Korruption ist ein Kernproblem der Armut, bei dem den Ar- men noch das Wenige genommen wird, was sie haben. Wir müssen uns auf Finanz- und Banksysteme konzentrieren, die sowohl den globalen Anleger als auch den Bauern mit gerin- gen Ersparnissen, insbesondere Frauen, gleiches Vertrauen einflößen. Wir brauchen moderne Unternehmenspraktiken - einschließlich Buchführungs-, Buchprüfungs- und Offenlegungsmaßnahmen auf höchstem Niveau. Wir müssen uns auf Mikro-Kreditpläne und finanzielle Mittel für kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren, die sowohl in Kri- sen- als auch in normalen Zeiten funktionieren. Wir müssen gut organisierte und motivierte Beamte und Spre- cher gesellschaftlicher Gruppen heranbilden, die den Sinn und Zweck ihrer Arbeit für die Gemeinwesen, für die sie arbeiten, erkennen. Und, Herr Vorsitzender, wir müssen uns daran erin- nern, daß diese Schulung ihrerseits auf effektiver Ausbildung und effektivem Wissen beruht. Wir müssen uns auf den Auf- 15 bau starker und vertraueneinflößender amtlicher und zivil- gesellschaftlicher Einrichtungen vor Ort konzentrieren, denn es kann nicht daran gezweifelt werden, daß der Schlüssel zu einer effektiven Verringerung der Armut auf lokaler Ebene zu suchen ist. Der Aufbau dieser Institutionen erfordert mehr als die Ände- rung der formalen Vorschriften. Er bedeutet die Änderung der informellen Vorschriften und Normen, er bedeutet Förderung von Menschen, Wertebildung, Förderung von Fertigkeiten und Anreize, durch die Menschen, die sich dem Wandel verpflich- tet fühlen, Unterstützung finden. In Afrika entsteht ein neues Modell - Partnership for Capacity Building. Es dauerte zwei Jahre, bis das Konzept umgesetzt werden konnte. Es geht von Afrika aus und wird von Afrika- nern umgesetzt werden. Es beinhaltet die direkte Unterstüt- zung und Zusammenarbeit durch die Bank, den IWF, UNDP und die African Development Bank und basiert auf der Part- nerschaft mit dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft. Wir haben 150 Millionen Dollar für einen Unterstützungsfonds zugesagt. Wir alle werden unsere afrikanischen Kollegen im Rahmen einer koordinierten und dringlichen Anstrengung bei der Verwirklichung ihrer Ziele unterstützen. Aber wir müssen dabei Präsident Mkapas Auftrag berücksich- tigen. Wir müssen Ausübende der Entwicklung heranbilden. Zu viele Bemühungen der Befähigungsförderung sind in der Vergangenheit fehlgeschlagen, weil sie nicht auf Eigentums- beteiligung vor Ort beruhten. Herr Vorsitzender, ich habe ausführlich über die Komplexität bei der Verwirklichung unserer Ziele auf Länderebene gespro- 16 chen. Aber wir wissen, daß die Staaten voneinander abhängig sind. Wir wissen, daß die Staaten nicht länger allein Herr ihres Schicksals sind. Wir brauchen globale Regeln und globales Verhalten. Wir brauchen ergänzend zur neuen globalen Finanzarchitektur eine internationale Entwicklungsarchitektur. Wie könnte eine solche internationale Entwicklungsarchitektur aussehen? Sie wäre erstens eine Koalition, die auf der Zusammenarbeit aller Spieler gründet - der Vereinten Nationen, der Regierun- gen, der multinationalen Gesellschaften, des Privatsektors und der Zivilgesellschaft. Eine Koalition zwischen Empfängern und Gebern und den Bürgern der Geberländer, eine auf Ergeb- nissen basierende Koalition. Mit der Inanspruchnahme von Entwicklungshilfe muß eine effektive - korruptionsfreie und die Armen erreichende - Leistung verbunden sein. Die Wäh- ler möchten sehen, daß ihre Hilfe etwas bewirkt. Der gute Wille ist vorhanden; was wir brauchen, ist Umsetzung. Sie wäre zweitens eine Koalition, bei der wir erkennen, daß wir zwar die Ketten der Schuld sprengen, daß wir aber gleich- zeitig auch die Mittel haben müssen, viel weiter zu gehen, um auch die Ketten der Armut zu sprengen. Die von uns angekün- digte HIPC-Schuldenentlastung ist der Beginn unserer Heraus- forderung, nicht ihr Ende. Sie wäre drittens eine Koalition, die erkennt, daß wir ein funk- tionierendes Handelssystem mit gerechten und umfassenden Vorschriften und Normen brauchen. Eine Entwicklungsrunde für das 21. Jahrhundert. Sie wäre viertens eine Koalition, die erkennt, daß die Umwelt keine Grenzen kennt. Wir müssen internationale Vereinbarun- 17 gen über Klimaveränderung, Versteppung und biologische Vielfalt umsetzen, so wie wir es im Falle des Abbaus der Ozonschicht getan haben. Wir müssen die globalen Abkommen in die Tat umsetzen. Wir müssen sicherstellen, daß der Globalen Umwelt Fazilität (Global Environment Facility) die zur Durchfüh- rung ihrer Arbeit erforderlichen Mittel bereitgestellt werden. Sie wäre fünftens eine Koalition, welche die Macht der moder- nen Forschung bei der Demokratisierung der Gesundheit er- kennt, neue Impfstoffe zur Auslöschung von AIDS, Malaria, TB und Kinderlähmung zu nutzen. Sie wäre sechstens eine Koalition, welche die Revolution auf dem Gebiet der Information zu einer wirklich universalen Revolution macht, die dazu beiträgt, die wachsende Wissens- kluft zu überwinden, alle Entwicklungswirtschaften und alle sich im Übergang befindlichen Wirtschaften mit der Welt und untereinander zu verbinden, um zu einem echten Instrument der Partizipation und des Lernens über Satellit, E-Mail und Internet zu werden. Denn es gibt keinen Zweifel, daß die tech- nologische Revolution enorme Auswirkungen auf den Gehalt der Entwicklung haben wird. Herr Vorsitzender, Globalisierung kann mehr sein als die ent- fesselten Kräfte des globalen Marktes. Sie kann auch die Ent- fesselung unserer vereinten Anstrengungen und Expertise bei der Erzielung globaler Lösungen bewirken. Wir brauchen Koalitionen für den Wandel. Koalitionen mit dem Privatsektor, die Investitionsanreize und Arbeitsplätze schaffen, die den Transfer von Technologie und Fertigkeiten und soziale Verantwortung fördern. Koalitionen mit der Zivilgesellschaft und mit Gemeinwesen, 18 um jene Unterstützung von unten zu mobilisieren, wie wir sie hinter der Schuldenkampagne gesehen haben - sie auf die Bereiche Gesundheit, Bildung für alle, Partizipation und Ver- ringerung der Armut auszuweiten. Koalitionen mit Regierungen, um diese bei der Übernahme ihrer eigenen Entwicklungsagenda unter Beteiligung ihrer Bürger zu unterstützen. Koalitionen untereinander, um Machtkämpfe, Verschwendung und unnötige Doppelarbeit zu beenden. Koalitionen mit den Religionen, mit Gewerkschaften und Stiftungen zum Nutzen unserer gemeinsamen Arbeit. Koali- tionen, die sich für die sieben Verpflichtungserklärungen der Vereinten Nationen zur anhaltenden Entwicklung, nämlich Gleichbehandlung der Geschlechter, Bildung, Säuglings-, Kin- der- und Müttersterblichkeit, Reproduktionsgesundheit und Umwelt einsetzen. Ich versichere feierlich, daß wir beabsichtigen, mit allen unse- ren Partnern an der Bildung dieser Koalitionen für den Wan- del zusammenzuarbeiten, so daß wir, wenn wir uns im näch- sten Jahr in Prag treffen, begonnen haben werden, diese neue Entwicklungsarchitektur in die Tat umzusetzen. Herr Vorsitzender, ich habe eine umfassende Agenda umris- sen. Wird die Bank sich dieser Herausforderung stellen? Ich kann dies meiner Überzeugung nach uneingeschränkt mit Ja beantworten. Wir geben für die Einführung von Lenkungs- und Kontrollmaßnahmen bereits über 5 Milliarden Dollar im Jahr aus, die für die Beamtenreform, Steuerverwaltung, Dezen- tralisierung, Rechtsreform, Gerichtsreform, für das Budget Mana- gement und den Aufbau von Institutionen eingesetzt werden. 19 Wir arbeiten mit über zwei Dutzend Ländern an Anti- korruptionsprogrammen. Wir unterstützen die Richteraus- bildung, wir leiten öffentliche nationale Workshops zur Auf- deckung von Korruption. Wir bilden sogar Journalisten in der Recherche aus, da wir uns der Tatsache bewußt sind, daß eine freie Fachpresse die Stimme des Volkes ist. Im Bereich der Bildung haben wir in den letzten vier Jahren dramatische Fortschritte gemacht. Unsere Wissensbank über- brückt Entfernungen durch per Satelliten übertragene Fern- studien. Sie schließt die Informations-Infrastrukturlücke und bringt Wissen in weit entfernte Gegenden. Sie erreicht die Stu- denten über die African Virtual University und über unser WorldLinks-Programm, das Schulkinder in den Industrielän- dern mit ihren Brüdern und Schwestern in den Entwicklungs- ländern verbindet. Wir führen anhand von Programmen, die auf den Anstrengun- gen der Menschen vor Ort beruhen, ein großes Projekt zur Slumbeseitigung durch, bei dem Grundstückseigentum verge- ben und selbsttragende Infrastrukturprojekte durchgeführt werden. Wir haben zusammen mit dem World Wildlife Fund eine starke Allianz zur Rettung unserer Wälder gegründet. Wir fördern gemeinsam mit dem Privatsektor, den Vereinten Natio- nen und Stiftungen eine weltweite Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (Global Alliance for Vaccines and Immunization), eine Arbeitsgruppe für AIDS-Impfstoffe (AIDS Vaccine Task Force) sowie eine Malariainitiative. Wir haben zusammen mit über 140 unterschiedlichen Partnern die Flußblindheit besiegt. Dies ist ein herausragendes Beispiel dafür, was wir gemeinsam erreichen können. Wir arbeiten ferner mit Gemeinwesen vor Ort zusammen und bauen an der Basis Partnerschaften auf, wie beispielsweise in Indien über lokale demokratische 20 Einrichtungen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß unsere besten und effektivsten Projekte diejenigen sind, die lokal angesiedelt sind und sich in der Nähe unserer wirklichen Kunden befinden, der armen Menschen in ländlichen und städtischen Gemeinwesen. Wir haben gelernt, daß Eigentum und Einbezogensein vor Ort im Mittelpunkt unserer Architek- tur stehen müssen. Ist die Bank der Herausforderung gewachsen? Meiner Über- zeugung nach haben wir 10.000 außerordentlich begabte und engagierte Mitarbeiter bei der Bank, der IFC und der MIGA. Wir haben ein hartes Jahr hinter uns, und ich möchte diesen Mitarbeitern und ihren Familien für den von ihnen geleisteten Beitrag danken. Herr Vorsitzender, wir stehen an der Schwelle eines neuen Jahrtausends. So vieles, was möglich wäre, ist zum Greifen nahe. Werden wir auch den Mut und die Führungsqualitäten haben, unsere Hände auszustrecken und zuzugreifen? Werden wir endlich erkennen, daß wir in einer Welt leben? Schauen Sie um sich. Wir sind durch Finanz- und Kommunikationssysteme verbunden; wir sind durch Umwelt und Handel verbunden. Die Migrationen kennen keine Grenzen, Verbrechen kennen keine Grenzen, Drogen, Krieg und Frieden kennen keine Grenzen. Nur die nationalen Haushalte, Herr Vorsitzender, machen vor den Grenzen halt. Nur nationale Wahlen kümmern sich wenig um die große Welt. Wir brauchen Führerschaft, um den Völkern zu erklären, daß 21 unsere nationalen Interessen international sind. Wir müssen unser Engagement für Entwicklung verstärken, ein echtes gegenseitiges Engagement, ein echtes Engagement auf der Grundlage der großzügigen Erklärungen zahlreicher führender Politiker der Industrieländer an die Entwicklungsländer. Wir müssen das Engagement aufbringen, um das empfohlene Ni- veau von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an der öffent- lichen Entwicklungshilfe zu erreichen. Und die politische Füh- rung der Entwicklungswirtschaften und der Wirtschaften im Übergang müssen ihre Zusagen bekräftigen, ihre Versprechen einer guten Führungs- und Kontrollstruktur, von Gleichheit und Wachstum einzuhalten. Diese Zusagen, Herr Vorsitzender, bedürfen gleichzeitig menschlicher und moralischer Aspekte. Es muß beim Eintritt in das nächste Jahrhundert eine leidenschaftliche, erneuerte ge- genseitige Verantwortung geben. Wir alle müssen Verantwor- tung für eine weltweite Gerechtigkeit übernehmen, die der alleinige Garant für den Frieden ist. Die Aussagen der armen Menschen, die ich zuvor zitierte, können uns unmöglich unbe- rührt lassen. Ein Vater aus Osteuropa: "Armut ist Erniedrigung, das Gefühl, von ihnen abhängig zu sein, gezwungen zu sein, Grobheiten, Beleidigungen und Gleichgültigkeit hinzunehmen, wo wir doch Hilfe suchen." Und die Stimme von Bashiranbibi aus Südasien: "Anfangs fürchtete ich mich vor jedem und allem: vor meinem Mann, vor dem Dorf, der Polizei. Heute fürchte ich niemanden. Ich habe mein eigenes Bankkonto. Ich bin Leiterin der Spargruppe meines Dorfs. Ich werde meinen Schwestern von der Bewe- gung erzählen." 22 Herr Vorsitzender, wir müssen nach vorne schauen, wir müs- sen uns engagieren, um den Tag zu erleben, an dem die Ar- men der Welt, die hoffnungsvollen jungen Menschen, die Alten, die Straßenkinder, die Landarbeiter, die Slumbewohner, ausrufen können: "Heute fürchte ich niemanden. Heute fürch- te ich mich vor niemandem."