101355 Der Weg zum Wohlstand Rede von Paul Wolfowitz Präsident, Weltbank-Gruppe, vor dem Gouverneursrat der Weltbank-Gruppe (Version wie gehalten) 19. September 2006 Singapur Einführung und Danksagung Verehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Gouverneure, sehr verehrte Gäste, zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank-Gruppe heiße ich Sie herzlich willkommen. Mein besonderer Dank gilt unseren Gastgebern, der Regierung und den Menschen in Singapur, für ihr großes Engagement bei der Organisation dieser Tagung sowie dem Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses Alberto Carrasquilla, der den Vorsitz bei unseren wichtigen Gesprächen übernimmt. Seit über einem Jahr habe ich nun die Ehre, Präsident der Weltbank-Gruppe zu sein. Mit großer Freude kann ich sagen, dass die Kreditvergabe der Weltbank-Gruppe auf Rekordniveau geklettert ist. Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) stellte 9,5 Milliarden US-Dollar an Hilfen für die Armen zur Verfügung. Das ist mehr als jemals zuvor, und die Hälfte davon waren für Afrika bestimmt. Das Volumen der Kredite der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) an Länder mit mittlerem Einkommen hat mit 14,2 Milliarden US-Dollar den höchsten Stand seit sieben Jahren erreicht. Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA) hat Investitionsgarantien im Volumen von 1,3 Milliarden US-Dollar gewährt. Den stärksten Zuwachs verzeichneten jedoch die Hilfen der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) für den privaten Sektor, die sich um 25 Prozent auf 6,7 Milliarden US-Dollar erhöhten. Und keine Schilderung der Entwicklungen im vergangenen Jahr wäre vollständig ohne den wichtigen Erfolg der multilateralen Entschuldungsinitiative. Diese historische Initiative macht den von den ärmsten Ländern der Welt dringend benötigten Schuldenerlass möglich—so dass Gelder freigesetzt werden, die dann für das Erreichen der Millennium-Entwicklungsziele verwendet werden können. Wir müssen weiter an der Verbesserung der Qualität und Quantität sowie der Harmonisierung unserer Bemühungen mit denen unserer Partner arbeiten. Doch diese Zahlen machen Mut, und ich bin allen, die zu diesen Erfolgen beigetragen haben, sehr dankbar. Rodrigo de Rato, seines Zeichens Direktor des Internationalen Währungsfonds, möchte ich für die freundschaftliche und enge Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Organisationen danken. Ferner danke ich meinem Direktorium für die Hilfe und Unterstützung, auch bei einigen schwierigen Fragen. Mein Dank gebührt aber vor allem meinen engagierten Mitarbeitern, die in über 100 Ländern der Welt und an unserem Hauptsitz in Washington tätig sind. Ihre Professionalität und ihr Engagement haben das vergangene Jahr zu einem sehr erfolgreichen Jahr für die Weltbank-Gruppe und für unser erklärtes Ziel gemacht, den Armen der Welt Hoffnung zu geben und Möglichkeiten für sie zu schaffen. Im Kampf gegen die Armut Geschichte schreiben Wenn wir uns heute in diesem wunderbaren Kongresszentrum versammeln, dürfen wir nicht vergessen, aus welchem Grund wir hier sind: Dort draußen kämpfen in aller Welt mehr als 1 Milliarde Menschen mit einem Einkommen von weniger als 1 US-Dollar pro Tag um ihr Überleben. Sie werden heute hungrig und krank schlafen gehen, nicht in Fünf-Sterne-Hotels. Doch der Wohlstand, den wir heute um uns herum sehen, erinnert auf inspirierende Weise daran, dass auch aus größter Armut ein Weg zum Wohlstand führt. Vor 41 Jahren brach ein unabhängiges Singapur in eine ungewisse Zukunft auf. Die Arbeitslosigkeit war hoch, es gab keine Industrie, und die Zukunftsaussichten waren trübe. Über diesen Tag schrieb Premierminister Lee Kuan Yew später: „Mit großen Befürchtungen machte ich mich auf einem unbekannten Weg auf die Reise zu einem unbekannten Ziel.“ Um uns herum können wir heute dieses Ziel sehen. Die beachtlichen Fortschritte Singapurs auf seinem Weg aus der Armut zum Wohlstand haben auch viele andere Länder in Ostasien und anderen Teilen der Welt erkannt. In den vergangenen 25 Jahren sind vierhundert Millionen Menschen in aller Welt der extremen Armut entkommen und haben dieses Vierteljahrhundert in der Geschichte des Kampfes gegen die Armut zum erfolgreichsten überhaupt gemacht. Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden, doch in allen Kulturkreisen und Glaubensgruppierungen, Gemeinschaften und Ländern träumen Menschen den gleichen Traum: Von der Möglichkeit zum Schulbesuch, der Sicherheit eines guten Arbeitsplatzes, der Fähigkeit, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Afrika: Der Weg zu Möglichkeiten Im vergangenen Jahr sagte ich, dass Afrika höchste Priorität haben müsse —genau die Region, an der diese beeindruckenden Fortschritte bislang allzu offensichtlich spurlos vorüber gegangen sind. Noch heute bin ich fest davon überzeugt, dass wir Afrika absoluten Vorrang geben müssen. Doch nun, ein Jahr und einige Besuche in zehn afrikanischen Ländern später, würde ich noch hinzufügen, dass ich nicht nur dringenden Handlungsbedarf, sondern auch echte Chancen sehe. Innerhalb von sechs Jahren ist die Zahl der in einen Konflikt verwickelten Länder von dreizehn auf fünf gesunken. Der Sudan ist freilich die unrühmliche Ausnahme von dieser Entwicklung. Die verzweifelte, arme Bevölkerung in Darfur steht am Rande ihrer gewaltsamen Auslöschung. Die internationale Gemeinschaft muss rasch und entschlossen handeln, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Doch auch wenn Länder eine Krise überwinden—wie es Sierra Leone, Liberia, der Demokratischen Republik Kongo sowie der Zentralafrikanischen Republik in den letzten Jahren gelungen ist—, stehen sie auf ihrem Weg zur Entwicklung erneut vor einer ganzen Zahl von Hürden. Ihre Führer müssen rasch handeln, um ihren Bürgern zu einem besseren Leben zu verhelfen und den labilen Frieden zu stabilisieren. Und wir—die internationale Entwicklungsgemeinschaft—müssen rascher handeln und sie dabei unterstützen. Ein Länderdirektor sagte mir einmal, diese Länder bräuchten nicht noch mehr „unverständliche Dokumente, die so dick sind wie Telefonbücher und 18 Monate zu spät kommen.“ In Liberia beispielsweise bemühen wir uns nach Kräften, schneller vorzugehen. Wir haben hoch effektive Zuschüsse in Höhe von 67 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau von Straßen, Häfen und Flughäfen sowie die Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung für die liberianische Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Das Gleiche müssen wir für den Libanon tun. Einige afrikanische Länder haben den Weg zu Fortschritt bereits weiter beschritten. Siebzehn von ihnen haben in den letzten zehn Jahren ein nachhaltiges jährliches Wachstum von 4 Prozent oder mehr erzielt, manche sogar eines von 7 oder 8 Prozent. Für die Entwicklungsgemeinschaft besteht die Herausforderung in diesen Ländern nun darin, dieses Wachstum zu beschleunigen und anderen dabei zu helfen, den Weg zum Wohlstand ebenfalls zu beschreiten. Aktionsplan für Afrika—Der aktuelle Stand Auf diese Herausforderung hat die Weltbank-Gruppe mit dem Aktionsplan für Afrika reagiert. Nach einem Jahr freue ich mich, Fortschritte bei der Aufstockung unserer Hilfen für die Entwicklung des privaten Sektors, beim Abbau des Infrastrukturgefälles—einschließlich der regionalen Infrastruktur—sowie bei der Verbesserung der Gesundheit und Bildung vermelden zu können. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr von weiteren Fortschritten im Schlüsselbereich Landwirtschaft berichten können. In ganz Afrika hat der Verfall der Infrastruktur die wirtschaftliche Expansion gehemmt und Möglichkeiten auf internationalen Märkten zunichte gemacht. Heute zahlt ein Unternehmen in Zentralafrika mehr als dreimal so viel wie ein chinesischer Unternehmer für den Transport eines Containers über die gleiche Entfernung. Für diesen afrikanischen Unternehmer ist der Weg aus der Armut buchstäblich eine geteerte Straße. Wir unterstützen unsere afrikanischen Partner bei ihren Bemühungen, den Zugang zu Strom, Wasser und Transportmöglichkeiten für die Menschen in ihrem Land zu verbessern. Allein im vergangenen Jahr haben wir unsere Investitionen in die Infrastruktur um 15 Prozent erhöht. In Afrika herrscht kein Mangel an innovativen Plänen zur Sanierung der Infrastruktur. Es gibt nur einfach nicht genügend Ressourcen. Für afrikanische Kinder beginnt der Weg aus der Armut im Klassenzimmer. Doch zu viele haben noch immer nicht einmal die Möglichkeit, eine Grundschule zu besuchen. Und für den gesamten Subkontinent stellen die beiden schrecklichen Todbringer—AIDS und Malaria—die größten Hürden auf dem Weg aus der Armut dar. Die Initiative zur beschleunigten Umsetzung der Grundbildungsziele (FTI) hat eine wachsende Zahl von Ländern, in der Mehrzahl afrikanische Länder, ermutigt, glaubwürdige Pläne zu entwickeln, um die Grundschulbesuchsquote, insbesondere unter Mädchen, zu steigern. Diese Initiative könnte den Traum von 70 Millionen Kindern in 60 Ländern, die eine Schule besuchen wollen, wahr werden lassen, sofern — und das möchte ich nachdrücklich betonen—die Geldgeber die Ressourcen aufstocken, die benötigt werden, um den Erfolg zu vergrößern. Wir sind auch Teil eines weltweiten Bündnisses zur Bekämpfung von HIV/AIDS—durch das sich innerhalb von nur zwei Jahren die Zahl der Menschen, die Zugang zu einer Behandlung haben, verachtfacht hat. Dennoch haben wir 80 Prozent der Menschen, die eine Behandlung brauchen, noch immer nicht erreicht. Dazu bedarf es Ressourcen. Die Malaria ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen in Afrika. Durch unser neues Malaria Booster Program könnten wir mehr als 125 Millionen Menschen erreichen, unter anderem 30 Millionen Kinder. In Tansania sprach ich mit einer Mutter von fünf Kindern, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Moskitonetz kaufte. Sie erzählte mir, dass ihre fünf Kinder das Glück hatten, noch nicht mit Malaria infiziert zu sein. Doch wir können nicht allein das Glück über das Schicksal der Kinder in Afrika entscheiden lassen. Mit Hilfe der Bank werden über 10 Millionen Moskitonetze und mehr als 15 Millionen Dosen von Anti-Malaria-Mitteln an Menschen wie diese junge Mutter verteilt werden. Bei der Konferenz in Dakar in der vergangenen Woche wurde nachdrücklich an die Geldgeber appelliert, den Kampf gegen die Malaria besser zu koordinieren und transparenter zu gestalten. Wir bauen gerade ein System auf, mit dem wir den Gebrauch von Moskitonetzen, den Zugang zur Malaria-Behandlung und das Versprühen von Mückenschutzmitteln in Gebäuden verfolgen können. Um aber Unzulänglichkeiten aufdecken und Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, müssen wir die Aktivitäten aller Geldgeber in einem gemeinsamen Verfolgungssystem erfassen. Und dazu brauchen wir Ihre Unterstützung. Bemühungen intensivieren Vor uns liegt viel harte Arbeit. Es besteht eine echte Chance, schneller zu handeln. Ein Jahr nach der Zusage von Gleneagles droht die internationale Gemeinschaft allerdings ihr Versprechen, die Hilfen für Afrika aufzustocken, zu brechen. Afrikanische Länder können nicht auf ein Fundament aus leeren Versprechungen bauen. Wenn die reichen Länder, ihre Zusagen, die Hilfen für Afrika bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln, nicht einhalten, werden wir dabei versagt haben, die größte Hoffnung für die Zukunft Afrikas zu fördern—seine Menschen. Die Unterstützung der IDA für die ärmsten Länder hat einen historischen Höchststand erreicht. Der Transfer von annähernd 1 Milliarde US-Dollar aus den Einkünften der Weltbank-Gruppe an die IDA im vergangenen Monat stellt ebenfalls einen Rekord dar. Doch der Bedarf an IDA-Hilfen ist noch immer größer, und wir können die Lücke nicht allein schließen. Die Gespräche für IDA 15 beginnen im nächsten Jahr. Angesichts der auf dem ganzen Kontinent auszumachenden Wachstumssignale und der Vielzahl der Länder, die neue Mittel in Anspruch nehmen wollen, müssen wir uns hohe Ziele für die Auffüllung stecken, die den Ambitionen und den Hoffnungen der Menschen in Afrika gerecht werden. Eine weltweite Institution mit weltweiter Verantwortung Länder mit mittlerem Einkommen Afrika ist unsere oberste Priorität, kann aber nicht unsere einzige sein. Heute leben zwei Drittel der Armen der Welt in Ländern mit mittlerem Einkommen in Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten. Die Zahl der Menschen, die in Brasilien, China und Indien in extremer Armut leben, ist insgesamt doppelt so hoch wie in Afrika südlich der Sahara. In China besuchte ich die westliche Provinz Gansu, wo einige Familien in Höhlen leben. In Brasilien ging ich durch die überfüllten Armenviertel, die Favelas, von São Paulo, die einen krassen Unterschied zu den Vierteln der Wohlhabenden darstellen, die nur wenige Blocks entfernt sind. Die Armen in diesen Ländern besitzen in der Tat einen potenziellen Vorteil. Sie leben in Ländern, in denen der private Sektor wächst und in denen die Regierungen über Ressourcen verfügen und Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten haben. Wenn ihre Regierungen Geld von uns leihen, verlangen sie einen schnelleren, individuellen Service, mehr Flexibilität, geringere Kosten, rationelle Verfahren und einen besseren Zugang zu unserem Wissen und unseren Erfahrungen. Die neue Strategie der Weltbank-Gruppe für die Zusammenarbeit mit IBRD-Partnern beinhaltet eine Reihe von Vorschlägen, die uns helfen sollen, ihre Erwartungen zu erfüllen. Sie erkennt an, dass wir uns zum Zwecke einer effektiveren Zusammenarbeit mit den Ländern mit mittlerem Einkommen stärker anstrengen müssen, um Schritt zu halten, denn unsere Partner stellen von Jahr zu Jahr komplexere Anforderungen an uns. Globale Risiken bewältigen Wenn immer mehr Menschen den Weg aus der Armut in den Wohlstand beschreiten, wird die Nachfrage nach weltweiten öffentlichen Gütern steigen, nicht sinken. Diese globalen Probleme erfordern globale Lösungen und globale Ressourcen. Die Vogelgrippe, die Nachfrage nach sauberer Energie und Zerstörungen durch Naturkatastrophen machen nicht vor Landesgrenzen Halt. Heute steht die Weltbank-Gruppe bei internationalen Bemühungen zur Steigerung und Verwaltung der Mittel zur Bewältigung von Problemen dieser Art, die reiche wie arme Länder gleichermaßen betreffen, in vorderster Reihe. Gleichgültig, auf welchem Abschnitt des Weges zum Wohlstand sie sich befinden —ob es nun Länder sind, die von einer Krise erschüttert werden, oder Länder, die Zugang zu kommerziellen Krediten haben, oder auch die am höchsten entwickelten Volkswirtschaften der Welt —die ganze Welt braucht Institutionen, die Ressourcen auf weltweiter Ebene mobilisieren und verwalten können. Wir bei der Weltbank-Gruppe sind stolz auf unsere Erfahrung und unsere Fähigkeit, jenen Bedürfnissen gerecht zu werden. Der Weg zum Wohlstand—Wie gelangen wir dorthin? Gute Staatsführung In aller Welt, und vor allem in den Entwicklungsländern, setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der Weg zum Wohlstand auf ein Fundament aus guter Staatsführung aufbauen muss. „Ohne eine Reform der Staatsführung werden alle anderen Reformen nur begrenzte Wirkung haben.“ So lautete die Schlussfolgerung des Berichts des Afrika-Ausschusses im vergangenen Jahr. Und genau das habe ich auf der Straße und in Taxis, in den Marmorhallen von Ministerien wie auch in den verfallenen Hütten von Barackenvierteln gehört. Für uns als Mitglieder der Entwicklungsgemeinschaft dient eine gute Staatsführung nicht dem Selbstzweck, sondern ist die Grundlage für den Weg aus der Armut. Sie führt zu einem schnelleren, kräftigeren Wachstum. Sie gewährleistet, dass jeder für die Entwicklung aufgewendete Dollar für die Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten verwendet wird. In immer mehr Ländern verlangen Führer und auch Bürger transparente und rechenschaftspflichtige Regierungen, die etwas bewirken. Wenn wir auf ihre Forderungen reagieren, müssen wir anerkennen, dass sich die Probleme der Staatsführung von Land zu Land unterscheiden. Wenn wir Unterstützung leisten, müssen wir das berücksichtigen. Ein Patentrezept gibt es einfach nicht. Außerdem müssen wir daran denken, dass Fortschritte bei der Staatsführung nicht über Nacht erzielt werden, sondern Zeit brauchen. Unsere Strategie verpflichtet uns zu einem intensiveren Engagement, um die Qualität der Staatsführung zu verbessern und die Korruption zu bekämpfen. Selbst im schwierigsten Umfeld müssen wir uns weiterhin intensiv darum bemühen, Reformkräfte in der Regierung und der Zivilgesellschaft, etwa in Parlamenten, der Justiz und den Medien, zu ermitteln und zu unterstützen, um Erfolge für die Armen zu erzielen. Als eine globale Institution kann die Weltbank-Gruppe Ländern helfen, aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen. In Chile, Indien, Mexiko und Korea konnten mit Hilfe transparenter elektronischer Beschaffungssysteme im öffentlichen Sektor die Beschaffungskosten gesenkt und so mehrere Milliarden US-Dollar an Staatsausgaben eingespart werden. Für Entwicklungsländer bedeuten diese Einsparungen, dass mehr Mittel für Lehrbücher, Medikamente und wichtige öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Im indischen Bangalore können Bürger mit Hilfe einer Berichtskarte die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen beurteilen und öffentliche Beamte zur Verantwortung ziehen. Dadurch, dass diese Beurteilungen veröffentlicht werden, hat sich die Leistung der Verwaltung verbessert, und auch die Zufriedenheit der Kunden mit Stromanbietern und öffentlichen Krankenhäusern ist nun deutlich größer. Darüber hinaus müssen wir mit den anderen multilateralen und bilateralen Institutionen zusammenarbeiten. In diesem Geiste schlossen wir gestern mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken eine Meilenstein-Vereinbarung über den Informationsaustausch zur Bekämpfung von Betrug und Korruption. Schließlich müssen wir bedenken, dass die reichen Länder beim Kampf gegen die Korruption eine immense Verantwortung haben. Das bedeutet, dass sie gegen jene, die Bestechungsgelder zahlen und häufig aus diesen Ländern kommen, Maßnahmen ergreifen und den Entwicklungsländern helfen müssen, gestohlene Vermögenswerte wiederzubeschaffen. In jedem armen Land, jeder Stadt, jedem Dorf gibt es Kinder, die Bücher zum Lernen brauchen, Mütter, die Zugang zu Gesundheitsdiensten für ihre Kinder brauchen, sowie Männer und Frauen, die Arbeitsplätze brauchen, um für ihre Familien zu sorgen. Wir schulden es unseren Anteilinhabern und den Millionen von Menschen in aller Welt, die in Armut leben, dass wir sicherstellen, dass die uns anvertrauten Entwicklungsgelder bestimmungsgemäß verwendet werden, wie es unsere Satzung vorschreibt. Ein starker privater Sektor Die Erfahrungen aus Ostasien belegen, dass es unabhängig davon, auf welchem Abschnitt des Weges aus der Armut ein Land sich befindet, die Energie und die Fähigkeiten des privaten Sektors sind, die Arbeitsplätze schaffen und den Fortschritt vorantreiben. Vor einigen Monaten besuchte ich eine von der IFC finanzierte landwirtschaftliche Genossenschaft in Chimaltenango, Guatemala. Ich sprach mit Bauern, die sich noch vor zehn Jahren kaum selbst von ihren Ernteerträgen ernähren konnten. Heute bauen sie Obst und Gemüse an, die in Geschäften in aller Welt verkauft werden. Diese kleinen Produzenten, viele von ihnen Frauen, verdienen heute bis zu 800 US-Dollar im Monat—das Vierfache des durchschnittlichen Monatslohns in Guatemala! In diesem Jahr feiert die IFC ihr 50-jähriges Bestehen. Sie ist heute ein weltweit tätiges Unternehmen, das Chancen für die Armen schafft. Jeder Dollar, den die IFC investiert, zieht weit höhere Investitionen anderer Stellen für Millionen von Unternehmen nach sich. In den meisten armen Ländern stellt eine zu hohe Zahl von Vorschriften und Bestimmungen für Unternehmen eine große Last für Unternehmer dar. Der IFC-Bericht Doing Business gibt Regierungschefs und politischen Entscheidungsträgern klare Hilfen an die Hand, wie sie Reformen umsetzen, diese Last mindern und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen können. Im vergangenen Jahr ist Afrika eine der reformfreudigsten Regionen der Welt gewesen. Tansania und Ghana zählen dabei zu den zehn größten Reformern weltweit. Entwicklung durch Handel Gute Staatsführung und unternehmerischer Tatendrang können Ländern helfen, auf dem Weg zur Entwicklung voranzukommen—doch wenn es letztlich keinen Ort gibt, an dem sie ihre Produkte verkaufen können, enden die Bemühungen der Kleinunternehmer und armen Bauern in einer Sackgasse. Sie brauchen einen Zugang zu Märkten und den Handel, um ein besseres Leben führen zu können und der Armut zu entrinnen. Heute ist das Versprechen einer besseren Zukunft in Gefahr. Nun, da die Doha-Runde auf Messers Schneide steht, müssen wir neue Ideen in Betracht ziehen—und akzeptieren, dass alle Beteiligten Kompromisse eingehen müssen. Die Vereinigten Staaten von Amerika müssen weitere Einschnitte bei den Ausgaben für wettbewerbsverzerrende Agrarsubventionen hinnehmen. Die Europäische Union muss die Handelsschranken abbauen. Und Entwicklungsländer wie China, Indien und Brasilien müssen ihre Zölle auf Fertigwaren senken. Auch Entwicklungsländer müssen Handelsschranken abbauen, die einkommensschwachen Ländern den direkten Handel miteinander erschweren. Doha muss ein Erfolg werden—und wir müssen gewährleisten, dass die ärmsten Länder die Gewinner sein werden. Das im vergangenen Jahr in Hongkong vorgelegte Angebot eines „zollfreien, quotenfreien“ Zugangs muss durch weniger restriktive Zolltarife und Ursprungsregelungen ergänzt und aufgewertet werden. Wir müssen jetzt handeln, bevor die Chancen ungenutzt verstreichen. * * * * Vor fünf Monaten traf ich bei meinem Besuch in Guerrero—dem ärmsten mexikanischen Bundesstaat— einige Kinder, die als Erste in ihrer Familie die Chance erhielten, eine Schule zu besuchen. Ich erinnere mich noch an die Worte eines kleinen Mädchens, das mir von seinem Traum erzählte, eines Tages der Armut zu entrinnen und eine glückliche Zukunft zu haben. In seiner Muttersprache Nahuatl sagte es ein Gedicht auf: „Ich will alles verändern, denn ich liebe den Ackerbauern und den Schweiß seiner harten Arbeit, die unsere Heimat bereichert und uns Mais, Bohnen und Kartoffeln bringt.“ „Ich will alles verändern, denn ich liebe eine Welt, die es noch nicht gibt, in der jene, die Brot backen, es auch essen können, in der der Bauer ein Gärtner des Lebens und nicht des Todes ist.“ Verehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Gouverneure, sehr verehrte Gäste, von Mexiko über die Mongolei bis Malawi gibt es Millionen von armen Menschen, die hart arbeiten werden, um der Armut zu entkommen—wenn sie nur die Chance dazu erhalten. Es ist nicht ihr Leistungsvermögen oder ihre Leistungsbereitschaft, das sie davon abhält. Es sind die Bedingungen, die um sie herum herrschen—von der Bürokratie über Straßen voller Schlaglöcher bis hin zu geschützten Märkten. Unser Auftrag ist es, dabei zu helfen, den Weg zu ebnen—so dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Verpassen wir nicht die historische Chance, die vor uns liegt. Vielen Dank.