Nach der Krise? Robert B. Zoellick Präsident Weltbankgruppe The Paul H. Nitze School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University 28. September 2009 Starke Umwälzungen lösen Schockwellen aus, die Risse in der politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Ordnung vergrößern. Bisweilen gehen alte Ordnungen unter. Doch es kann in der Macht der Führer und Völker liegen, die Richtung der Veränderung zu beeinflussen. Heute gehen die meisten davon aus, dass Edmund Burke mit seinem Werk Reflections on the Revolution in France eine Revolution verurteilte, die bereits einen König und eine Königin hingerichtet und zu Staatsterror geführt hatte. Er veröffentlichte sein Werk jedoch im Jahr 1790, noch bevor das Rumpeln der Karren und das Geschrei der Menge vor der Guillotine in den gepflasterten Straßen von Paris widerhallten. Das Jahr 1789 brachte starke Umwälzungen mit historischer Wirkung. Obgleich Burke kluge Warnungen aussprach, gingen die meisten seiner Zeitgenossen davon aus, dass Frankreich den „englischen Weg“ hin zu einer konstitutionellen Demokratie beschreiten würde. Momentane Ereignisse können über lange Zeit hinweg nachhallen. Mehr als ein Jahrhundert später zu den Auswirkungen der Französischen Revolution befragt, antwortete Chinas Premierminister Zhou Enlai angeblich: „Das kann man heute noch nicht sagen.“ Dieses Jahr markiert den 20. Jahrestag der friedlichen Revolution von 1989. Die Umwälzungen in ganz Europa in jenem Jahr, die so ganz anders waren als jene im Jahr 1789, setzten dem Kalten Krieg ein Ende. Sie führten zur Öffnung der Berliner Mauer, brachten Mittel- und Osteuropa Freiheit, mündeten in der Wiedervereinigung eines demokratischen Deutschlands und der Einigung Europas, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedergeburt Russlands. Auf viele wirkten diese stürmischen Ereignisse tatsächlich wie das „Ende der Geschichte“, wie es mein Freund und Ihr Professor Frank Fukuyama in seinem bekannten gleichnamigen Buch ausdrückte. Doch in der europäischen Geschichte wurden mit der Erweiterung zur heutigen Europäischen Union, der Schaffung einer Gemeinschaftswährung und der Erweiterung des NATO-Bündnisses neue Kapitel aufgeschlagen. Die Blicke richteten sich in jener Zeit zwar in erster Linie auf Europa, doch auch in anderen Teilen der Welt wurde die Geschichte neu geschrieben: Die NAFTA führte zur grundlegenden Neuorientierung Mexikos, etwa hin zur Demokratie und einer potenziell stärkeren Integration in Nordamerika, die APEC verkündete einen neuen „offenen Regionalismus“, der ein aufstrebendes Ostasien näher an die Pazifikanrainer in Nord -, Mittel- und Südamerika rücken könnte, und militärische Bündnispartner machten nach UN-Sanktionen den gewaltsamen Einmarsch Iraks nach Kuwait ungeschehen, was den Weg für die Konferenz von Madrid freimachte, wo sich Israel und die arabischen Staaten am Verhandlungstisch Platz nahmen. Die Saat für diese Veränderungen wurde von vorausschauenden Führern ausgesät, die trotz aller Umwälzungen und sich verändernden Trends auch Chancen sahen. Die Erfahrungen, die ich damals—und seitdem—machte, bestärkten mich in dem Gefühl, dass Ereignisse innerhalb eines Kontinuums geschehen. Wie Burke beobachtete, bestehen „Beziehungen nicht zur zwischen den Lebenden, sondern auch zwischen denen, die leben, denen, die tot sind, und jenen, die erst noch geboren werden.“ Die Ergebnisse sind nicht vorbestimmt. Sie sind abhängig von den Ereignissen wie auch von gezielten Handlungen. Im Jahr 2009 durchleben wir eine weitere Umwälzung, die unsere Welt verändert. Welche Auswirkungen wird dies auf die Zukunft haben? Die heutigen Umwälzungen kamen nicht aus dem Nichts. Die Saat wurde früher ausgelegt. In den letzten 20 Jahren erlebte die Welt einen gewaltigen wirtschaftlichen Wandel. Der Zusammenbruch der Planwirtschaften in der Sowjetunion, Mittel- und Osteuropa, die Wirtschaftsreformen in China und Indien und die exportorientierten Wachstumsstrategien in Ostasien trugen allesamt zu einer weltweiten Marktwirtschaft bei, in der nach früher 1 Milliarde heute 4 oder 5 Milliarden Menschen leben. Dieser Wandel eröffnet immense Chancen. Doch er erschütterte auch ein internationales Wirtschaftssystem, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde und in den seitdem abgelaufenen Jahrzehnten nur kleinere Veränderungen erfuhr. Ein Teil der Saat, aus der die heutigen Probleme entstanden, waren die Reaktionen —oder die ausgebliebene Reaktion—auf die Finanzkrisen in den späten 1990er Jahren. Nach der asiatischen Finanzkrise entschieden die Entwicklungsländer, dass sie nie wieder den Stürmen der Globalisierung ausgesetzt sein wollten. Viele beschafften sich „Versicherungen“ durch Wechselkursmanagement und den Aufbau hoher Währungsreserven. Einige dieser Veränderungen trugen zu Ungleichgewichten und Spannungen in der Weltwirtschaft bei, doch jahrelang wurstelten sich die Regierungen angesichts des allgemein guten Wachstums einfach durch. Die Zentralbanken versäumten es, gegen die Risiken anzugehen, die sich in der „New Economy“ aufbauten. Sie schienen den Auftrieb der Produktpreise in den 1980er Jahren im Griff zu haben, doch die meisten entschieden, dass es schwierig sei, Spekulationsblasen an den Finanzmärkten zu erkennen und mittels der Geldpolitik einzudämmen. Sie meinten, der Schaden für die „Realwirtschaft“—Arbeitsplätze, Produktion, Ersparnisse und Konsum —könne beim Platzen der Blasen durch aggressive Zinssenkungen begrenzt werden. Wie sich zeigte, hatten sie sich getäuscht. Regulierer und Aufsichtsbehörden für Finanzinstitute waren nicht mehr in der Realität geerdet. Finanzinnovationen und der Wettbewerb sorgten dafür, dass auch solchen Unternehmen und Familien Leistungen angeboten wurden, die in der Vergangenheit häufig abgewiesen worden waren. Doch die verlockend einfache Theorie von den „rationalen Märkten“ führte dazu, dass die Regulierer die Realität in punkto Psychologie, Unternehmensverhalten und systemische Risiken sowie die Komplexität von Märkten und Menschen aus den Augen verloren. Wie in der Vergangenheit hat unser heutiges Handeln Einfluss auf die künftigen Chancen und Herausforderungen. Wir müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen, ohne uns davon einengen zu lassen. Zu häufig machen wir uns bereit, Krisen der Vergangenheit zu bewältigen, anstatt uns für die Krisen der Zukunft zu rüsten. Doch eines ist sicher: Wir werden in unserem Leben weitere Umwälzungen erleben. Und die werden anders sein als die aktuelle. Sie alle bei SAIS haben das große Glück, einen Beitrag leisten zu können, und werden es hoffentlich auch tun. Wenn Sie frühere Anstrengungen betrachten, fragen Sie sich vielleicht: Wie wird sich unsere Welt durch diese Krise verändern? Im Jahr 1944 nutzten die Delegierten in Bretton Woods die Gelegenheit, einer neuen globalen Übereinkunft Gestalt zu geben. In den drei Wochen in New Hampshire arbeiteten sie ein System von Regeln, Institutionen und Verfahren für die finanziellen und wirtschaftlichen Beziehungen in der Weltwirtschaft aus. Die Welt hat sich in den letzten 65 Jahren dramatisch verändert—nicht zuletzt durch die Umwälzungen des Jahres 1989. Die gegenwärtigen Turbulenzen verändern die Welt erneut. Mögliche Verschiebungen in den Machtstrukturen, den Institutionen und der internationalen Kooperation sind bereits erkennbar. Die Verschiebungen werden teils davon abhängen, wie sich die beteiligten Seiten an die neuen Umstände anpassen, teils vom Tempo der Erholung, teils von Veränderungen bei der Frage, wer das weltweite Kapital, Technologien und Arbeitskräfte besitzt und wie sie eingesetzt werden, und teils schließlich auch davon, wie die Länder zusammenarbeiten—oder auch nicht. . Wie wird die Machtstruktur nach dieser Krise wahrgenommen und wie ist sie wirklich? Aktuell wird davon ausgegangen, dass die politische Ökonomie nach der Krise den wachsenden Einfluss Chinas, wahrscheinlich auch Indiens und anderer großer Schwellenländer widerspiegeln wird. Die USA, das Epizentrum der Finanzkrise, werden vermutlich an wirtschaftlicher Macht und wirtschaftlichem Einfluss verlieren. Für diese Ansicht gibt es gute Gründe. China hat mit Konjunkturprogrammen und geldpolitischen Anreizen entschlossen auf die Krise reagiert und scheint über eine gut gefüllte Geldschatulle für diese ersten Schritte zu verfügen. China verzeichnet eine rasche Erholung, die auch anderen Ländern zugute kommt, was Chinas wachsenden Einfluss verdeutlicht. Tatsächlich ist China heute eine stabilisierende Kraft in der Weltwirtschaft. Gemeinsam haben China und Indien einen Anteil von 8,5 Prozent an der Weltproduktion. Sie und andere Entwicklungsländer wachsen deutlich schneller als die Industrieländer. Und doch ... steht Chinas Zukunft noch nicht fest. Die rasante Erholung im Jahr 2009 wurde in den ersten acht Monaten des Jahres von einem Anschwellen der Kreditvergabe um 26 Prozent des jährlichen BIP genährt. Diese Flut ebbt zwar allmählich ab, und die Behörden dürften sie weiter eindämmen —aus Angst vor den Folgen für die Preise und die Qualität von Vermögenswerten und mithin für die allgemeine Inflation. China steht noch immer vor großen Ungewissheiten im Jahr 2010. Die chinesische Führung anerkennt diese Risiken, darunter die ungebrochene Abhängigkeit Chinas und anderer Schwellenländer vom exportgetriebenen Wachstum. Es wird für China nicht einfach, den Übergang zu einer stärkeren Inlandsnachfrage und vor allem zu einem höheren Konsum zu schaffen, der zu einem ausgewogeneren Wachstum der Weltwirtschaft und zur Verwirklichung von Chinas Ziel einer „harmonischeren Gesellschaft“ beitragen könnte. Chinas protegierter Dienstleistungssektor, darunter Finanzdienstleistungen, begrenzt die Möglichkeiten für Unternehmen und Produktivitätssteigerungen. Die USA wiederum wurden von der Krise hart getroffen. Doch Amerika verkraftet Rückschläge traditionell gut —es passt sich an die neuen Umstände an und erfindet sich neu. Die Zukunft der USA wird davon abhängen, ob und wie sie gegen hohe Defizite vorgehen, sich ohne Inflation erholen, die sowohl die Kreditvergabe als auch die Währung belasten könnte, und ihr Finanzsystem erneuern, sodass es seine Innovationskraft nicht verliert, zugleich aber an Sicherheit und Solidität gewinnt. Die USA müssen auch den Menschen helfen, sich auf Veränderungen einzustellen, damit sie weiterhin über ihren größten Trumpf verfügen: ihre Offenheit für Handel, Investitionen, Menschen und Ideen. Geopolitiker werden auf Signale achten, ob Amerikas Wirtschaftsprobleme zu einer Schwächung des Vertrauens, der Energie und der Ressourcen der USA führen, die eigenen Interessen weltweit in der Zusammenarbeit mit anderen zu schützen. Japan erlebt als erste führende Industriemacht politische Umwälzungen im Gefolge der Krise. Der Wahlsieg von Japans Demokratischer Partei könnte erstmals in der Geschichte des Landes zur Entstehung einer nachhaltigen Zwei-Parteien-Demokratie führen. Japan ging aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs als „Handelsstaat“ hervor, als Vorbild für exportgeführtes Wachstum. Es ist unklar, ob das alte exportorientierte Wachstumsmodell in einer „ausgewogeneren“ Weltwirtschaft, die nicht mehr so stark auf den US-Konsum baut, weiter Bestand haben kann. In dem alternden Japan werden die Konsumenten neue Bedürfnisse haben. Eine Weltwirtschaft mit mehreren Wachstumspolen könnte Japan neue Märkte eröffnen, vor allem angesichts der beeindruckenden Fähigkeit des Landes, Energie effizient einzusetzen. Die Welt wird sehr an der Gestalt einer japanischen Außenpolitik interessiert sein, die parteienübergreifend weiterverfolgt werden kann und neue Verantwortlichkeiten übernehmen könnte. Eine solche Außenpolitik könnte auf Japans Erfahrungen im Entwicklungsbereich aufsetzen. Japan könnte die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren aus dem Asien-Pazifikraum in der ASEAN, mit Australien, China und Korea vertiefen und weiterhin seine weltweiten Aufgaben erfüllen, vor allem durch seine Beziehungen zu den USA. Entwicklungsmöglichkeiten in Afrika, Lateinamerika, Zentralasien und dem Nahen Osten würden Japan außerdem ermöglichen, „sich gut zu entwickeln und gleichzeitig Gutes zu tun.“ Die Europäische Union hat möglicherweise zu zögerlich anerkannt, dass diese Wirtschaftskrise die erste große Nagelprobe für das Neue Europa war, das durch die Revolution im Jahr 1989 erst möglich wurde. Doch sie passte sich relativ schnell an, und europäische Institutionen könnten gestärkt daraus hervorgehen. Die Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa wurden von der Krise besonders hart getroffen. Und ihre Probleme sind längst nicht gelöst. Wenigstens für die Mitglieder der Europäischen Union war die Unterstützung der Europäischen Kommission, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der Europäischen Investitionsbank—mit Unterstützung der Weltbankgruppe—allerdings überaus wichtig. Es scheint, dass die europäischen Banken, die in mittel- und osteuropäischen Nachbarländer investierten, daran auch festhalten werden. Die gute Nachricht aus strategischer Sicht ist, dass die europäischen Länder trotz aller ihrer internen Debatten und Verhandlungen erkannt haben, dass sie voneinander abhängig sind. Auch unter Belastung brach Europa—dieses Mal—nicht auseinander. Die Europäische Zentralbank unter der fähigen Führung ihres Präsidenten Jean-Claude Trichet spielte eine entscheidende Rolle. Die EZB wanderte auf einem schmalen Grat, als sie einerseits das europäische Finanzsystem stützte und sogar Europäern außerhalb der Eurozone half und andererseits die Glaubwürdigkeit des Euro sicherstellte. Daher könnten neuere EU-Mitglieder außerhalb der Eurozone durchaus anstreben, in den Genuss dieser Sicherheit zu gelangen. Doch angesichts der wirtschaftlich schwierigeren Zeiten muss sich die Europäische Union einigen Ungewissheiten stellen. Ihre Energieabhängigkeit nährt Sorgen und belastet die ohnehin schwierigen Beziehungen zu ihren östlichen Nachbarn, vor allem zur Ukraine und zu Russland. Auf dem Balkan schwelt es weiterhin, und Unaufmerksamkeit in Sachen Bosnien könnte wieder Zweifel an der Fähigkeit der EU, selbst auf ihrem eigenen Kontinent Sicherheit zu bieten, aufkommen lassen. Die EU und die Türkei müssen noch einen Konsens über ihre gemeinsame Zukunft erreichen. Im Zuge der Bevölkerungsalterung wird Europa außerdem mit der Integration von Einwanderern zu kämpfen haben. Südostasien erhält von der Krise möglicherweise ebenfalls Auftrieb —je nachdem, wie Chancen genutzt werden. Die Region liegt geografisch an der Schnittstelle zwischen Indien und China, zwei aufstrebenden Mächten. Die ASEAN scheint die Chance erkannt zu haben und hat Maßnahmen ergriffen, um die eigene Integration zu verbessern, streckt ihre Hand zugleich aber nach anderen aus. Angesichts des großen Gewichts Indonesiens und des wachsenden Einflusses Vietnams entwickelten sich diese beiden Länder trotz der wirtschaftlichen Turbulenzen —ganz anders als noch vor rund zehn Jahren—sehr solide. Doch hinter der Anpassung und dem politischen Umbruch in Ländern wie Thailand und Malaysia stehen nach wie vor Fragezeichen. Fraglich ist auch, ob andere den Aufstieg der ASEAN-Länder anerkennen werden. China und Indien scheinen es zu tun—aber Nordamerika und die Europäische Union auch? Für andere könnten die langfristigen Auswirkungen der Krise von den Rohstoffpreisen, vor allem vom Ölpreis, abhängen, die in den letzten Jahren kräftig zulegten. Bei einem Ölpreis von 100 US-Dollar geht es diesen Ländern gut. Bei einem Ölpreis von 30 US-Dollar geraten die meisten dagegen in große Schwierigkeiten. Diese Öl- und Rohstoffabhängigkeit ist eine bedenkliche Basis für eine Volkswirtschaft in einer Welt, die sich darum bemüht, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, und in der die Rohstoffpreise Kapriolen schlagen, wenn diese „Anlageklasse“ zum Spielball von Spekulanten wird. Werden die Länder diese Einnahmen klug verwenden—zur Diversifizierung und für eine breiter aufgestellte wirtschaftliche Entwicklung? Mit diesen Fragen müssen sich Russland, die Golfstaaten und einige Länder in Lateinamerika und Afrika beschäftigen. Die sich wandelnden Machtstrukturen zu begreifen ist entscheidend, um die Zukunft zu gestalten —die Delegierten in Bretton Woods wussten das. Die politische Basis für jenes System entstand aus der gemeinsamen Erfahrung, dass es nach dem Ersten Weltkrieg an Verantwortungsbewusstsein fehlte, und der gründlichen Beurteilung des Machgefüges nach dem Zweiten Weltkrieg. Ändert man diese Machtstrukturen —und die Natur der Märkte, die sie verbinden—scheint das System aus den Fugen zu geraten. Betrachten wir ein paar Beispiele: Wird der US-Dollar die Hauptreservewährung bleiben? Das Währungssystem von Bretton Woods ebnete den Weg zur Freigabe der Wechselkurse mit dem US-Dollar als Hauptreservewährung der Welt. Trotz aller Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit des US-Dollar als Reservewährung wertete er während der Krise auf, da er Anlegern einen sicheren Hafen bot. Die USA sind in der unglaublich glücklichen Lage, dass der US-Dollar diesen Sonderstatus genießt. Wenn ich mit Ländern zu tun habe, die Mühe haben, ihren Haushalt zu decken oder Handelsdefizite zu finanzieren, muss ich stets daran denken, dass die Amerikaner nicht einen Augenblick über den großen Vorteil nachdenken, Anleihen ausgeben und nach eigenem Gutdünken Geld drucken zu können.. Die Geschichte der Napoleonischen Kriege berichtet von großen Feldzügen und Schlachten. Dass Britannien und seine Bündnispartner letztlich siegten, war allerdings der Wiederherstellung seiner Kreditwürdigkeit durch Pitt zu verdanken —einem trockenen Kapitel der Geschichte. Es wäre aber ein Fehler, wenn die USA den Status des US-Dollar als weltweit wichtigste Reservewährung als selbstverständlich betrachten würden. In Zukunft wird es immer mehr Alternativen zum US-Dollar geben. Angesichts der jüngsten Erfolge der EZB spricht einiges dafür, dass die Akzeptanz des Euro wachsen könnte. Der Einfluss des Euro wird zum Teil von der Wettbewerbsfähigkeit der Länder der Europäischen Union in den nächsten Jahren sowie von der Tiefe und Liquidität ihrer Finanzmärkte abhängen. Auch auf die demografische Entwicklung und die Wachstumsaussichten kommt es an. Doch eine Finanzierung in Euro ist bei einer Schwäche des US-Dollar eine gute Alternative. Darüber hinaus bewegt sich China auf eine allmähliche Internationalisierung seiner Währung zu. China erleichtert seinen Handelspartnern die Abwicklung von Geschäften in Renminbi —zum Beispiel durch Währungsswaps. Auch im Investmentbereich dürften wir diesen Wandel beobachten: In diesem Monat gab China erstmals Staatsanleihen in Renminbi an ausländische Anleger aus. China gab vor kurzem bekannt, dass ausländische Unternehmen eine Notierung ihrer Aktien in China anstreben können—ein Schritt, um Schanghai zu einem internationalen Finanzzentrum aufzubauen. Da China ein bedeutender Rohstoffimporteur ist, ist vorstellbar, dass in Schanghai oder anderen chinesischen Hafenstädten neue Referenzindizes geschaffen werden, letztlich in Renminbi. Die chinesischen Führungspersönlichkeiten werden vorsichtig sein. Die meisten wollen die Kontrolle behalten, die ein nicht offener Kapitalverkehr bietet. An den Finanz- und Bankenmärkten dürften weiterhin verschiedene Instrumente zur Intervention und Kontrolle zum Einsatz kommen. Dennoch erwarte ich, dass China sich zwangsläufig öffnen muss und wird. Über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren wird der Renminbi zu einer wichtigen Kraft an den Finanzmärkten avancieren. Länder und Märkte werden möglicherweise auch mit Finanzierungen in Sonderziehungsrechten (SZR) experimentieren, bei denen es sich um einen Korb aus wichtigen Währungen handelt. Natürlich ist und bleibt der US-Dollar eine führende Währung. Doch die Geschicke des Greenback werden in hohem Maße davon abhängen, welche Entscheidungen die USA treffen. Werden sie ihr Schuldenproblem lösen und dabei auf Inflation verzichten? Können die USA in punkto Ausgabenverhalten und Haushaltsdefizit langfristig Disziplin zeigen? Stellt das Land in seinem Finanzsektor ein gesundes Verständnis für Innovationen, Liquidität und Renditen wieder her, ohne erneut das Risiko riesiger Blasen und eines institutionellen Zusammenbruchs heraufzubeschwören? Der Wert des US-Dollar wird auch davon abhängen, inwieweit wir das Comeback einer dynamischen, innovativen Privatwirtschaft erleben. Machtstrukturen werden auch innerhalb der Länder in Frage gestellt. Die Zentralbanken haben bei dieser Krise eine wichtige Rolle gespielt. Werden demokratische Regierungen unabhängigen Zentralbanken gestatten, noch mehr Befugnisse zu übernehmen? Der US-Kongress stellte mit Erstaunen fest, über wie umfassende Befugnisse die US-Notenbank verfügt, neues Geld zu drucken, Vermögenswerte zu kaufen, globale Swap-Linien einzurichten und Transaktionen abseits des üblichen Prozesses für die Verwendung öffentlicher Gelder durchzuführen. Der Kongress hat seit Alexander Hamilton ein nicht ganz entspanntes Verhältnis zu Banken und Bankern. Erst im Jahr rangen sich die USA zur Gründung einer Zentralbank durch. Die US-Notenbank verdiente sich nach jahrelangen Bemühungen ihre hart erkämpfte Unabhängigkeit. Es sollte daher nicht überraschen, dass die amerikanische Demokratie zögert, der US-Notenbank die Befugnis zu erteilen, die Aufsicht über systemische Bankrisiken auszuüben und zugleich die Geldpolitik zu lenken, was ihre Macht vergrößert. Im Vereinigten Königreich ist eine Debatte über die Rolle der Bank of England und der Financial Services Authority entbrannt. Die Länder der Eurozone stehen ebenfalls vor diesem Problem, wobei die Existenz mehrerer nationaler Aufsichtsbehörden die Angelegenheit hier noch etwas komplizierter gestaltet. Auch für aufstrebende Entwicklungsländer mit zunehmend entwickelten Banken- und Finanzmärkten ist das ein Thema. Die Zentralbanken leisteten Erstaunliches, als die Krise mit voller Wucht zuschlug. Doch es gibt berechtigte Fragen, wie sie mit der Entstehung umgingen, etwa mit dem Anstieg der Anlagenpreise und den bedeutenden Aufsichtsfehlern. Ob die Zentralbanken die Erholung bewerkstelligen könnten, ohne dass die Inflation außer Kontrolle gerät, wird sich erst noch zeigen müssen. Stanley Fischer, Gouverneur der israelischen Zentralbank und ehemaliger stellvertretender Direktor des IWF, spricht sich dafür aus, die Instrumente der Geldpolitik mit umsichtigen Aufsichtsstandards in der Zentralbank, ausgehend von der Effektivität der Organisation, zu kombinieren. Andere halten dagegen, eine Aufgabe würde zwangsläufig stiefmütterlich behandelt oder dass das Fehlerrisiko würde mangels einer zweiten Meinung steigen, wenn eine Behörde für beides zuständig ist. Manche sehen sogar einen Interessenkonflikt. Diese Debatte wird unterschiedliche politische Traditionen und Einstellungen gegenüber Banken und Zentralbanken widerspiegeln. In den USA wird es schwierig sein, die unabhängigen, mächtigen Technokraten bei der US- Notenbank mit noch mehr Befugnissen auszustatten. Ich deute das Krisenmanagement in letzter Zeit so, dass das US-Finanzministerium mehr Befugnisse brauchte, um eine Schar verschiedener Regulierer um sich zu versammeln. Darüber hinaus ist das Finanzministerium eine Stelle der Exekutive, sodass der Kongress und die Öffentlichkeit direkter überwachen können, wie es zusätzliche Befugnisse nutzt. Ein weiteres Vermächtnis der Architekten von Bretton Woods—unser Welthandelssystem. Hält es mit den Ansprüchen der Weltwirtschaft Schritt? Die Antwort ist ein unmissverständliches „Nein“. Positiv ist, dass die meisten Regierungen angesichts der katastrophalen Erfahrungen mit dem wirtschaftlichen Isolationismus der 1930er Jahre vorsichtig geworden sind, um nicht zu riskieren, dass sich Ähnliches wiederholt. Bislang ist der traditionelle Handelsprotektionismus nur ein leichtes Fieber. Doch die Temperatur steigt. Die politische Ökonomie des Handels wird von der „Fahrrad-Theorie“ verkörpert: Angesichts des lokalen Einflusses protektionistischer Produzenten in den meisten Ländern kann ihrer erdrückenden Macht nur mit einer Agenda zur Liberalisierung des Handels begegnet werden. Der potenzielle Nutzen einer Marktöffnung kann sodann Interessen mobilisieren, die sich den Rufen nach Handelsbeschränkungen entgegenstellen. Gegenwärtig ist die Doha-Runde der WTO praktisch zum Stillstand gekommen. Und da die Agenda vor nunmehr fast einem Jahrzehnt entwickelt wurde, gerät die Doha-Runde außerdem angesichts der neuen Herausforderungen rasch ins Hintertreffen. Wir sollten die Doha-Runde zügig zum Abschluss bringen—und dann nach vorn blicken. Bei der Doha-Runde könnten Agrarsubventionen gekürzt, begrenzt und sogar abgeschafft werden, die jahrelang aus dem regelbasierten Handelssystem herausgehalten wurden. Die Märkte in den Industrie- und führenden Entwicklungsländern könnten behutsam für industrielle Produkte und Agrarerzeugnisse geöffnet werden. Beschränkungen in führenden Entwicklungsländern könnten auf deutlich tieferen Niveaus „festgezurrt“ werden, was das Gefühl eines gegenseitigen Beitrags fördert und das Risiko starker Sprünge bei den Zolltarifen begrenzt. Die Doha-Runde könnte außerdem die Dienstleistungsmärkte öffnen und die Spitzenzölle in Industrieländer drücken, die die Produktion von Basis- und Mehrwerterzeugnissen in ärmeren Ländern begrenzen. Die Runde könnte Regeln nachbessern, die zu freimütig dazu verwendet wurden, den Handel zu beschränken. Das wäre ein echter Gewinn und würde zeigen, dass die Industrie- und die führenden Schwellenländer in der Lage sind, Kompromisse einzugehen und ein gemeinsames systemisches Interesse zu verfolgen. Sobald die Doha-Runde zum Abschluss gebracht ist, müssen wir zügig zu einer neuen Agenda übergehen. Die regionale Integration ist Teil der Globalisierung, doch wir brauchen Regeln, die es Ländern ermöglichen, von den Vorteilen einer stärkeren, umfassenderen Liberalisierung gegenüber anderen zu profitieren, und zugleich einen offenen Regionalismus fördern. Die WTO muss die Agenda zum Klimawandel unterstützen und dabei auf Klimazölle verzichten. Wir brauchen Maßnahmen gegen den Finanz- und Subventionsprotektionismus, der aus der Krise entstand. Wir brauchen niedrigere Hürden für den Süd-Süd-Handel. Der Dienstleistungsverkehr muss zunehmen, um die Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten zu nutzen. Wir brauchen mehr Hilfe für die ärmsten Länder, die bislang die aus dem Handel resultierenden Wachstumsmöglichkeiten weniger gut nutzen konnten. Die neue Agenda muss auf die von der Weltbankgruppe unterstützten frühen Anstrengungen des WTO- Generaldirektors Pascal Lamy aufbauen, um Handelserleichterungen mit Hilfen für den Handel zu verbinden. Um von geringeren Handelshemmnissen zu profitieren, brauchen ärmere Länder: die regionale Integration zur Schaffung größerer Märkte und Verbesserung des Marktzugangs für Länder ohne Meeresanbindung, Energie, Infrastruktur, Logistiksysteme, problemlosen Zugang zu Finanzierungsmitteln für den Handel, Unterstützung bei Standards sowie rationelle Verfahren für Zollabfertigung und Grenzübergang. Die Lkw-Abfertigung an der Grenze zwischen Kenia und Uganda dauerte gewöhnlich zwei Tage. Durch die von der Weltbank geförderte Einrichtung eines einzigen Grenzpostens für die gesamte Abfertigung wurde die Transferzeit auf zwei Stunden oder weniger verkürzt. Das System von Bretton Woods wurde von 44 Ländern in einer Zeit entwickelt, als sich die Macht auf eine kleine Zahl von Ländern konzentrierte. Die große Dekolonisierungswelle schwoll gerade erst an, und die wenigen Entwicklungsländer wurden als Objekte, nicht Subjekte der Geschichte betrachtet. Das ist lange vorbei. Die neue Realität der politischen Ökonomie verlangen ein anderes System. Welche Rolle werden die Entwicklungsländer nach der Krise spielen? Die Krise hat deutlich gemacht, dass die großen Schwellenländer, vor allem China und Indien, aber auch andere, zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Weltwirtschaft wird praktisch auf ein „neues Gleichgewicht“ mit den relativen Gewichtungen wie vor rund zweihundert Jahren, vor der industriellen Revolution, eingestellt. Hinzugekommen ist dabei ein neues Nordamerika. Die aufstrebenden Entwicklungsländer sollten bei der Erholung eine zentrale Rolle spielen. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass die Nachfrage wegen der Konsumzurückhaltung in den USA schwach sein wird. Viele Entwicklungsländer könnten die Nachfrage steigern, wenn sie Zugang zu Finanzierungsmitteln erhielten. Aufgrund ihrer Staatsfinanzen haben sie Spielraum für Kreditaufnahmen, können aber nicht so viele Kredite, wie sie brauchen würden, zu angemessenen Preisen erlangen, ohne ihren privaten Sektor zu verdrängen. Darüber hinaus leben in den Mitteleinkommensländern 70 Prozent der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung. Die Weltbankgruppe und die regionalen Entwicklungsbanken können helfen. In Zukunft würde ein ausgewogeneres, inklusiveres Wachstumsmodell für die Welt von mehreren Wachstumspolen profitieren. Mit Investitionen in die Infrastruktur, die Menschen und private Unternehmen könnten Länder in Lateinamerika, Asien und dem Nahen Osten zu einer „neuen Normalität“ für die Weltwirtschaft beitragen. Mit der Zeit kann auch Afrika zu einem Wachstumspol werden. In den meisten afrikanischen Ländern höre ich dasselbe: Afrikaner wollen Energie, Infrastruktur, eine produktivere Landwirtschaft, einen dynamischen Privatsektor und regional integrierte Märkte mit offenem Handel. Das Gleiche hörte man möglicherweise auch, als Europa vor 60 Jahren in Trümmern lag. Vor der Krise erzielten mehrere afrikanische Länder beständig hohe Wachstumsraten. Nach überwundener Krise könnten sich neue Möglichkeiten bieten. Einige chinesische Produktionsunternehmen denken —unterstützt vom Staat—darüber nach, ihre Produktion von Basiserzeugnissen nach Afrika zu verlegen. Die Weltbankgruppe prüft gemeinsam mit China die Entwicklung neuer Industriezonen, welche die Anforderungen dieser Unternehmungen an die Infrastruktur, die Energieversorgung und an qualifizierte Arbeitskräften erfüllen. Zu Chinas Vorhaben in Afrika—die auch Ressourcenentwicklung und Infrastruktur beinhalten —dürften weitere hinzukommen. Brasilien zeigt Interesse, seine Erfahrungen mit der Agrarentwicklung zu teilen. Indien baut Eisenbahnen. Das sind die Anfänge eines Trends, der sich verstärken wird. Die Weltbankgruppe kann mit der weltweiten Förderung dieser Entwicklung ein Gegengewicht zum Finanz- und Handelsprotektionismus schaffen. Wir haben über die IFC, unsere Organisation für den Privatsektor, die neue Asset Management Corporation gegründet, die Mittel für Banken, Eigenkapital, Infrastruktur und Umschuldungen bereitstellt. Zugleich unterstützen wir und investieren in die Entwicklung der Märkte für Anleihen in Landeswährungen. Längerfristig orientierte Anleger—etwa staatliche und Pensionsfonds—haben mittlerweile erkannt, dass auch Industrieländer Risiken bergen und Entwicklungsländer gute Wachstumsperspektiven bieten können. Schlussfolgerung Nach überwundener Krise haben wir die Chance, unsere Politik, die Architektur und die Institutionen umzugestalten. Wir haben die Chance zur Entwicklung eines globalen Systems für ein 21. Jahrhundert der „verantwortungsbewussten Globalisierung“—einer Globalisierung, die ein ausgewogenes weltweites Wachstum und finanzielle Stabilität fördern, dem Klimawandel mit weltweiten Initiativen begegnen und die Möglichkeiten für die Ärmsten verbessern würde. Das bedeutet, den Nutzen der Markt- und Handelsöffnung sowie von Investitionen, Wettbewerb, Innovationen, Wachstum und Diskussionen über Ideen zu vergrößern. Diese Globalisierung muss sowohl inklusiv als auch nachhaltig sein—und mehr Möglichkeiten mit Rücksicht auf die Umwelt schaffen. Doch das wird nicht von selbst geschehen. Beim G20-Gipfel in London im April, standen die Staats- und Regierungschefs am wirtschaftlichen Abgrund. Die Gefahr heute ist weniger ein ungebremster Absturz als vielmehr Selbstgefälligkeit. Wenn die Krise nachlässt, droht es schwieriger zu werden, die Länder dazu anzuhalten, am „Wiederaufbau zum Besseren“ mitzuwirken. Die Prüfung eines neuen Rahmenwerks für kräftiges, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum, das letzte Woche beim G20- Gipfel vereinbart wurde, ist ein guter Anfang. Dazu bedarf es jedoch einer stärkeren internationalen Kooperation und Koordination als bislang und einer neuen Bereitschaft, die Ergebnisse der weltweiten Überprüfung auch ernst zu nehmen. Die Prüfung muss auch Druck bedeuten. Der Klimawandel ist dabei ein erster Test. Die zentrale Aufgabe in Kopenhagen im Dezember wird es sein, Anreize für Entwicklungsländer zu schaffen, sich an der CO2-Minderung zu beteiligen. Die Entscheidungsträger werden einen laufenden Prozess festlegen müssen, der den Ausstoß von Treibhausgasen reduziert und zugleich den technologischen Wandel, Anpassung und Wachstum fördert. Wir brauchen ein System der internationalen politischen Ökonomie, das die Multipolarität des Wachstums widerspiegelt. Es muss aufstrebende Wirtschaftsmächte als „verantwortungsbewusste Stakeholder“ einbinden und zugleich anerkennen, dass in diesen Ländern noch immer Hunderte Millionen Arme leben und große entwicklungspolitische Herausforderungen zu meistern sind. Es muss sich die Energie und Unterstützung der Industrieländer sichern, in denen die Öffentlichkeit die hohe Schuldenlast und Wettbewerbsängste spürt und der Ansicht ist, dass die neuen Mächte ebenfalls Verantwortung übernehmen müssen. Es muss dazu beitragen, den ärmsten und schwächsten Ländern, den 1,6 Milliarden Menschen, die noch immer ohne Elektrizität leben, und der „unteren Milliarde“, die infolge von Konflikten und einer fehlgeschlagenen Regierungsführung in der Armut gefangen sind, die Hand zu reichen. Weltweite Finanzen und Währungen. Das Handelssystem. Eine inklusive und nachhaltige Entwicklung. Klimawandel. Staaten, die mit Labilität und Konflikten zu kämpfen haben. Und eine Unmenge anderer Sicherheitsprobleme. Jedes Problem für sich genommen ist wichtig. Doch jedes hängt auch mit den anderen zusammen. Die Länder der Welt werden bei dieser Agenda nur dann effektiv vorankommen, wenn sie kooperieren. Der wirtschaftliche Multilateralismus früherer Tage wird den heutigen Realitäten nicht gerecht. Wir müssen den Multilateralismus und die Märkte modernisieren. Wie in der vergangenen Woche in Pittsburgh vereinbart, sollten die G20 das vorrangige Forum für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Industrieländern und den aufstrebenden Mächten sein. Doch die G20 können kein von anderen losgelöstes Forum sein. Ebenso wenig dürfen die mehr als 160 Länder, die ihr nicht angehören, ungehört bleiben. Die G20 sollte als „Lenkungsgruppe“ über ein Netzwerk von Ländern und internationalen Institutionen operieren. Sie könnten die Verflechtungen zwischen den Problemen anerkennen und Punkte von gemeinsamem Interesse fördern. Das System kann kein hierarchisches und sollte auch nicht bürokratisch sein. Einmal angestoßen, könnten die Themen über andere Verhandlungsgruppen, internationale Regelwerke oder globale und regionale Institutionen weiterverfolgt werden. Der IWF, die Weltbankgruppe, die WTO, das Financial Stability Board und UN-Organisationen könnten Länder auf Probleme aufmerksam machen, Analysen anbieten, kooperative Lösungen entwickeln und bei der Umsetzung politischer Maßnahmen helfen. Um wirksam zu sein und um ihre Legitimität zu bekräftigen, müssen sich auch die internationalen Institutionen weiterentwickeln. Ihre Stimmrechte sollten das Gewicht und die neuen Verantwortlichkeiten der aufstrebenden Mächte widerspiegeln und ein Mitspracherecht für die Armen gewährleisten. Sie brauchen Transparenz und Agilität für die Arbeit innerhalb von Netzwerken aus privaten Unternehmen, Stiftungen und Zivilgesellschaften wie auch miteinander. Die alte internationale Wirtschaftsordnung hatte bereits vor der Krise Mühe, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Die derzeitigen Umwälzungen offenbarten die großen Lücken und drängenden Bedürfnisse. Es ist an der Zeit, dass wir aufholen und voranschreiten. Die Frage lautet, ob die Führungspersönlichkeiten zusammenarbeiten können, um die Veränderungen zu steuern. Sie werden dazu neigen, die Interessen der von ihnen vertretenen Öffentlichkeit ihres Landes zu wahren, was auch ihre Aufgabe ist. Doch sie werden auch gehalten sein, gemeinsame Interessen anzuerkennen und zu entwickeln — und zwar nicht von Fall zu Fall, sondern durch Institu tionen, die eine „verantwortungsbewusste Globalisierung“ reflektieren. Bretton Woods wird vor unseren Augen generalüberholt. Dieses Mal wird es länger dauern als drei Wochen wie damals in New Hampshire. Es werden mehr Seiten daran beteiligt sein. Doch notwendig ist es auf jeden Fall. Die nächsten Umwälzungen, welcher Art sie auch sein mögen, sind bereits in der Entstehung. Entweder wir nehmen Einfluss auf sie oder wir ergeben uns ihnen.