„Eine Herausforderung an die ökonomische Staatskunst“ Robert B. Zoellick Präsident der Weltbankgruppe Center for Global Development, Washington D.C. 2. April 2008 Im Oktober des vergangenen Jahres, kurz nachdem ich zur Weltbankgruppe kam, stellte ich ein Leitprinzip für unsere Aufgaben vor: Hilfe beim Aufbau einer umfassenden und nachhaltigen Globalisierung – zur Bekämpfung der Armut, zur Förderung eines umweltverträglichen Wachstums und zur Schaffung von Chancen und Hoffnung für den einzelnen Menschen. Einen Monat später flog ich zu einem Treffen der G20 am Rande von Kapstadt, zu dem unter dem fähigen Vorsitz von Trevor Manuel die Finanzminister und Zentralbankchefs aus Industrienationen und Entwicklungsländern zusammengekommen waren. Während des formellen Meinungsaustauschs sagten einige Teilnehmer mit Blick auf die finanziellen Turbulenzen des Sommers bereits die Ereignisse voraus, die die Märkte in den folgenden Monaten erschüttern sollten. Aber wie so oft waren die informellen Gespräche während der Kaffeepausen noch mehr mit Warnungen und risikorelevanten Fragen gespickt. Die darauffolgenden Monate brachten das Eingeständnis der enormen Verluste bei den Immobilienwerten und Hypotheken, Kreditverluste, Verluste von CEOs und weiterer Verluste, als neue CEOs versuchten, die Bilanzen in Ordnung zu bringen. Hinzu kamen das Trauma der Monoline-Versicherer mit Schockwirkungen auf strukturierte Transaktionen, Kontrahentensorgen und schließlich Rekapitalisierungen und Übernahmen. In jüngster Zeit wurden wir Zeugen der Bilanzeinbußen bei kommerziellen Banken, die nicht unmittelbar Bewertungen zum Marktwert vornehmen mussten. Kurzfristige Liquidität trocknete unter der Hitze der Finanz- und Informationsdürre aus. Fremdfinanzierer aller Arten – Investmentbanken, Beteiligungsfonds, Hedgefonds und sogar die kurzfristigen unbesicherten Schuldtitel der Unternehmen – rangen um Liquidität. Während durstige Finanzinstitutionen ihre Reserven speicherten, schrumpfte das Modell der wertpapiermäßigen Unterlegung von Kreditforderungen für gestufte Cashflows, nachgeordneten Verluste und zusätzlichen Kreditbesicherung und ließ die Bereitsteller von Krediten auf dem Trockenen sitzen. Und wir sahen die menschliche Seite des Kampfes gegen diese scheinbar unpersönlichen Kräfte. Die Vereinigten Staaten hatten das Glück, dass sie in dieser sorgenreichen Zeit stabile und praxisorientierte Finanzverwalter hatten: den Schatzminister Hank Paulson, den Vorsitzenden der Notenbank Ben Bernanke sowie Tim Geithner, Präsident der New York Fed. Finanzminister und Zentralbankchefs in aller Welt stehen in ständigem und engem Kontakt. Teil ihrer – und unserer – Aufgabe ist es, die Auswirkungen dieses finanziellen Tumults auf die so-genannte „Real“- Wirtschaft – auf Wachstum, Arbeitsplätze, Preise, Löhne, Gewinne, Handel, Wohnungsbau und Unternehmen – und auf Einzelpersonen und Familien zu verstehen. Der finanzielle Abschwung geht zudem einher mit zwei weiteren Veränderungen: dem weltweiten Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise und dem Nachlassen der Preisdämpfung, die im Lauf des letzten Jahrzehnts daraus resultierte, dass Hunderte von Millionen neuer Arbeitskräfte aus den Entwicklungsländern auf den weltweiten Arbeitsmarkt strömten. Wir wissen, dass die makroökonomischen Auswirkungen dieser Umkehrungen nicht gut sind, aber ihr Ausmaß und ihr genauer Einfluss sind immer noch unklar. Die Frage der Auswirkungen auf die „reale“ Weltwirtschaft ist das verbindende Glied zwischen der heutigen Aufregung auf den Finanzmärkten und unserer Arbeit an der umfassenden und nachhaltigen Globalisierung und Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf diejenigen, die eine Verbesserung ihrer Lebensumstände anstreben. Der bemerkenswerte Unterschied zwischen diesen finanziellen Unruhen von heute und denen der Vergangenheit liegt in der Performance der Industrienationen und der Entwicklungsländer. Auf einem Seminar im August bemerkte ein mexikanischer Funktionär süffisant, dass sein Land diesmal keine Schuld trage. In der Tat müssen die Vereinigten Staaten daraus ihre Lehren über Finanzregulierung und Aufsicht an einem sich stets wandelnden Marktplatz ziehen, und zwar noch während sie mit anderen an der Beseitigung der Schäden und am Wiederaufbau arbeiten. Das Epizentrum des Bebens hat sich verlagert, aber auch die Erschütterungen haben die Märkte bisher auf unterschiedliche Weise getroffen. Die historisch knappen Kreditmargen auf die Verschuldung der Schwellenmärkte haben sich etwas ausgeweitet, im Vergleich zu fast allen anderen Kreditprodukten jedoch in bescheidenem Umfang. Natürlich bleiben die Finanzmärkte der Entwicklungsländer nicht isoliert. Devisenkurse unterliegen starken Schwankungen, die Aktienkurse in aufstrebenden Märkten erlitten Einbußen, und die Margen für nichtstaatliche Schuldtitel sind wie allerorten beträchtlich in die Breite gegangen. Aber etwas ist bei diesem Abschwung ganz anders, und das sollte man keinesfalls vernachlässigen: China, Indien und andere Wirtschaftsmächte im Aufschwung bieten der Weltwirtschaft alternative Wachstumspole. Das ist keine „Entkoppelung“, denn die Verflechtungen der Globalisierung werden für eine Übertragung der Auswirkungen der Finanzprobleme und des Abschwungs in den reifen Wirtschaftsnationen sorgen, sondern vielmehr eine willkommene Diversifizierung der Wachstumsquellen. Mehr als die Hälfte des weltweiten Anstiegs in der Nachfrage nach Importen kommt jetzt aus Entwicklungsländern, was sowohl für Entwicklungsländer als auch für Industrienationen Exportchancen schafft. Dies kommt einer Ausbalancierung – und nicht einer Entkoppelung – gleich, die eine umfassende und nachhaltige Globalisierung stützt. Wie die Diversifizierung für ein Investment-Portfolio sinnvoll ist, so ist sie es auch für die Quellen des Wachstums in der Weltwirtschaft. In Zeiten wie dieser wird die Staatskunst gefordert. Man muss die sich verändernde Landschaft erkennen, während die Ereignisse und das Schicksal vorbeieilen, damit dem dringendsten Bedarf abgeholfen werden kann. Gleichzeitig muss aber auch die Saat gesät werden, die eines Tages zu den Stützpfeilern der Zukunft heranwachsen wird. Heute müssen wir unmittelbaren Bedrohungen begegnen, gleichzeitig aber auch an einer umfassenden und nachhaltigen Globalisierung arbeiten, die mehr Quellen für Wachstum und Innovation in der Zukunft bereitstellen wird, die multilaterale Zusammenarbeit fördern, um mit Schocks und Konjunkturrückgängen umzugehen, und allen Menschen ein Höchstmaß an Chancen und Hoffnung geben. Deshalb werde ich vier unmittelbare Bedarfspunkte herausstellen, die auch längerfristige Chancen bieten. Ich möchte jeden Punkt umsetzen. Hohe Lebensmittelpreise: Eine neue Abmachung für die globale Nahrungsmittelpolitik Mit dem Absturz der Finanzmärkte schnellten die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Seit 2005 stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel um 80 Prozent. Im vergangenen Monat erreichte der Realpreis für Reis seine 19-jährige Höchstmarke, der Realpreis für Weizen stieg auf seinen höchsten Wert seit 28 Jahren und lag fast doppelt so hoch wie der Durchschnittspreis der letzten 25 Jahre. Was für manche Farmer eine gute Nachricht ist, bedeutet eine erdrückende Last für die anfälligsten Gruppen: Kinder, oft erst vier oder fünf Jahre alt, müssen die Geborgenheit ihrer ländlichen Gemeinden verlassen, um im Gewühl der Städte um Nahrung zu kämpfen. Unruhen wegen Nahrungsmitteln bedrohen das soziale Gefüge. Mütter haben nicht genügend Nahrung, um ihre Babys gesund zu erhalten. Die Weltbankgruppe schätzt, dass 33 Länder in aller Welt auf Grund des akuten Anstiegs der Nahrungsmittel- und Energiepreise einer potenziellen Bedrohung durch soziale Unruhen ausgesetzt sind. In diesen Ländern, wo Nahrungsmittel zwischen 50 und 75 Prozent des Verbauchs ausmachen, gibt es keine Marge zum Überleben. Die Realitäten der Demographie, der sich ändernden Ernährungsweisen, der Energiepreise und Biokraftstoffe sowie der Klimaveränderungen legen nahe, dass hohe – und volatile – Nahrungsmittelpreise uns noch über Jahre hinweg begleiten werden. Wir brauchen eine neue Abmachung für die globale Nahrungsmittelpolitik. Diese neue Abmachung sollte sich nicht nur auf Hunger und Unterernährung und auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln konzentrieren, sondern auch auf die Verflechtungen mit Energie, Ertrag, Klimawandel, Investment, mit der Marginalisierung von Frauen und anderen und mit ökonomischer Widerstandsfähigkeit und Wachstum. Nahrungsmittelpolitik muss in das Bewusstsein der höchsten politischen Ebenen dringen, denn kein Land und keine Gruppe kann im Alleingang diesen miteinander verwobenen Aufgaben begegnen. Wir sollten damit beginnen, den Bedürftigsten zu helfen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen benötigt weitere Nahrungsmittel im Wert von mindestens 500 Mio. USD, um Nothilfe leisten zu können. Die Vereinigten Staaten, die EU, Japan und andere Länder der OECD müssen jetzt handeln, um diese Lücke zu schließen – andernfalls werden noch viel mehr Menschen leiden und hungern. Exorbitante Nahrungsmittelpreise haben die Aufmerksamkeit für die größere, allgemeine Herausforderung erhöht: die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung – das „vergessene“ Millennium-Entwicklungsziel (Millennium Development Goal – MDG) der Vereinten Nationen. Obwohl Hunger und Unterernährung das alleroberste MDG darstellen, gibt es dafür über die traditionelle Hungerhilfe hinaus nur etwa ein Zehntel der Ressourcen, die richtigerweise für HIV/AIDS, einen weiteren Killer, aufgewendet werden. Und doch ist Unterernährung das MDG mit dem größten „Multiplikator“ -Effekt: Sie ist der größte Risikofaktor für Kinder unter fünf und ursächlich dafür verantwortlich, dass jährlich schätzungsweise 3,5 Mio. von ihnen sterben. Mehr als 20 Prozent der Müttersterblichkeit lässt sich auf Unternernährung zurückführen. Immunität wird abgeschwächt bis zur Erkrankung. Untersuchungen in Guatemala haben gezeigt, dass Jungen, die in den ersten beiden Lebensjahren Nahrungsergänzungspräparate bekamen, als Erwachsene durchschnittlich um 46 Prozent höhere Löhne bezogen. Wenn verarmte Familien den Gürtel enger schnallen müssen, dann sind junge Mädchen die ersten Verliererinnen. Hunger und Unterernährung sind eine Ursache, nicht nur ein Ergebnis von Armut. Diese neue Abmachung erfordert ein solideres Bereitstellungssystem, damit die Aufspaltung in die Bereiche in Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit, Landwirtschaft, Wasser, Hygiene, ländliche Infrastruktur und Geschlechterpolitik überwunden werden kann. Eine Umstellung von traditioneller Hungerhilfe auf ein breiteres Konzept der Nahrungsmittel- und Ernährungshilfe muss Teil dieser neuen Abmachung sein. In vielen Fällen sind Bargeld oder Gutscheine – im Gegensatz zu Rohstoffen – geeignet und können die Unterstützung zum Aufbau von Lebensmittelmärkten und Agrarproduktion vor Ort einleiten. Wenn Rohstoffe benötigt werden, kann der Einkauf bei heimischen Bauern die Gemeinden stärken. Mit Geldmitteln lassen sich standortspezifische Mikronährstoffe kaufen. Schulspeisungsprogramme locken Kinder ins Klassenzimmer, gleichzeitig erleichtern sie gesunden Kindern das Lernen, und manche Programme bieten auch den Eltern Essen an. Die Weltbankgruppe kann helfen, indem sie Notfallmaßnahmen zur Unterstützung der Armen sichert, gleichzeitig aber auch Anreize gibt, im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung Nahrungsmittel zu produzieren und zu vermarkten. So unterschiedliche Länder wie Bhutan und Brasilien, Madagaskar und Marokko haben Ernährungsprogramme für anfällige Gruppen. Mosambik, Kambodscha und Bangladesh setzen Programme für standortrelevante öffentliche Arbeiten im Gegenzug für Nahrung ein: Straßenbau, Brunnen, Schulen, Schutz vor Naturkatastrophen und Forstarbeit. Andere Länder wie China, Ägypten, Äthiopien und Mexiko bieten Geld bei Schritten zur Selbsthilfe, z.B. Kinder in die Schule schicken oder Vorsorgeuntersuchungen. Länder müssen auch gefährliche Hürden im Handel mit Nahrungsmitteln abbauen, weil diese bedürftige Nachbarn größeren Risiken aussetzen und produktionsstimulierende Signale ersticken. Wir werden gemeinsam mit den Ländern, vor allem in Afrika, und mit Partnerinstitutionen daran arbeiten, dass der höhere Bedarf an Nahrungsmitteln zur Chance wird. Unser Weltentwicklungsbericht 2008 „Landwirtschaft für Entwicklung“ weist den Weg. Wir können zur Schaffung einer „Grünen Revolution“ im Afrika südlich der Sahara beitragen, indem wir die Länder bei der Steigerung ihrer Produktivität in der gesamten Agrarwertschöpfungskette unterstützen und Kleinbauern beim Durchbrechen des Armutszyklus helfen. Wir werden unsere Agrardarlehen für Afrika von 450 Mio. auf 800 Mio. USD nahezu verdoppeln, und wir können Ländern und Bauern beim Management systemischer Risiken helfen; dazu gehören auch finanzielle Innovationen zum Schutz gegen witterungsbedingte Unwägbarkeiten wie etwa Dürre. Wir können Zugang zu Technologie und Wissenschaft bieten, um die Erträge zu steigern. Die Internationale Finanz-Corporation (International Finance Corporation – IFC) ist unser Arm auf dem Privatsektor. Sie wird die Unterstützungsarbeit in den Bereichen Investment und Beratung im Agrarbusiness in Afrika und anderswo erhöhen, so etwa durch die Arbeit mit der Weltbank zu Landbesitz und Produktivität, Finanzierung in Landeswährung, Arbeitskapital, Vertrieb und Logistik und Unterstützung für die Zwischenleistungen, ohne die die Bauern nicht auskommen. Die größten Erfolgsaussichten haben wir, wenn wir viele verschiedene Partner integrieren und mobilisieren können: die FAO, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und IFAD, weitere MDBs, private Geber wie die Gates Foundation, landwirtschaftliche Forschungsinstitute, Entwicklungsländer mit großer Erfahrung im Agrarbereich, wie Brasilien, und vor allem den Privatsektor. Eine neue Abmachung für weltweite Nahrungsmittelpolitik wird zu umfassender und nachhaltiger Entwicklung beitragen. Arme Länder, Länder mit mittlerem Einkommen und Industrienationen werden gemeinsam davon profitieren. Gewinnzuwächse aus der Landwirtschaft sind bei der Bekämpfung von Armut dreimal so wirkungsvoll wie Steigerungen in anderen Sektoren, und 75 Prozent der Armen auf der Welt gehören zur Landbevölkerung und sind meist in der Landwirtschaft tätig. Fast alle Frauen, die auf dem Land leben und zur Volkswirtschaft von Entwicklungsländern beitragen, arbeiten in der Landwirtschaft. Mit Unterstützung können die Frauen die Chancen des globalisierten Nahrungsmittelbedarfs wahrnehmen. Jetzt oder nie: ein globales Handelsabkommen Die Armen brauchen niedrigere Preise für Nahrungsmittel, und zwar jetzt. Aber das Agrarhandelssystem der Welt ist in der Vergangenheit stecken geblieben. Wenn es je einen Zeitpunkt gibt, um verzerrende Agrarsubventionen abzuschaffen und die Märkte für Nahrungsmittelimporte zu öffnen, dann jetzt. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Ein gerechteres und offeneres globales Handelssystem für die Landwirtschaft gibt Bauern in Afrika und anderen Entwicklungsländern mehr Chancen – und Selbstvertrauen – zur Ausweitung ihrer Produktion. Die Weltbankgruppe kann Entwicklungsländern beim Ergreifen dieser Möglichkeiten helfen, indem sie die Handelskapazität ausweitet, Hürden auf dem Weg zu den Märkten überwindet und bei der Handelsfinanzierung hilft. Steuerzahler und Regierungen können die Kosten für Subventionen sparen und ihren Haushalt verbessern. Die Lösung liegt darin, das Patt der Doha-Entwicklungsagenda 2008 zu überwinden. Der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) Pascal Lamy wird in den kommenden Wochen ein Treffen der Handelsminister einberufen. Das ist der entscheidende Augenblick für die Doha-Runde. Lamy hat mit Geduld und Nachdruck mit den Vorsitzenden der WTO-Ausschüsse der Verhandlungsgruppen am Abbau der Differenzen gearbeitet. Es geht um eine ganze Menge. Jetzt oder nie. Das angestrebte Ergebnis ist ehrgeizig: Die Senkung von Schutzzöllen für Agrar- und Industrieprodukte soll über Formeln erfolgen, die höhere Zahlen um mehr als einen linearen Prozentsatz senken. Höhere Farmsubventionen werden ebenfalls stärker gekürzt. Die Hauptaufgabe liegt nun darin, die starken, progressiven Zollsenkungen mit „Flexibilitäten“ auszugleichen, die Ausnahmeregelungen erlauben. Diese Ausnahmeregelungen dürfen aber die Zollsenkungen nicht wieder zunichte machen. Nach Möglichkeit sollten diese Flexibilitäten bei wachsenden Volkswirtschaften nach wie vor Chancen zur Ausweitung des Handels bieten. Einige Vorschläge gingen dahin, dass Entwicklungsländer im Agrarsektor profitieren und dafür die Schutzzölle für Industriegüter aufgeben sollen. Das ist irreführend. In Anbetracht der gestiegenen Fertigungsquoten in Entwicklungsländern und des globalen Sourcing werden sowohl Entwicklungsländer als auch Industrienationen von niedrigeren Handelsbarrieren für Güter profitieren. Diese Vereinbarung sollte auch die Märkte für Dienstleistungen stärken, die einen immer größeren Anteil am BIP weltweit ausmachen, ermöglichen sie doch nationale Entwicklung und Infrastruktur und ergänzen die Maßnahmen zur Erleichterung des Handels. Diese Vereinbarung kann auch die „Regeln“ klären, die Handel behindern. Diese Verhandlungen sind keine weltweiten Pokerturniere, wo die Minister ihre Karten fest in der Hand halten und am Schluss ein Gewinner die Chips abräumt. Diese Verhandlungen sind komplexe Aufgabenstellungen. Jeder muss mit Vorteilen und politischen Erklärungsmöglichkeiten nach Hause kehren. Maßgebliche Politiker müssen auch auf die „Vorteile für die Allgemeinheit“ d rängen. Diese Vereinbarung würde zu umfassender und nachhaltiger Globalisierung beitragen: mehr Chancen für große und kleine Entwicklungsländer, ärmere Länder und Länder mit mittlerem Einkommen, um produktiver zu werden und die Preise durch Handel zu senken; ein stärkeres Gefühl der Fairness für alle in der internationalen Wirtschaft, die durch die Modernisierung eines 50 Jahre alten Systems erreicht wurde. Ein Durchbruch in der Doha-Runde würde auch Vertrauen in ein Wirtschaftssystem fließen lassen, dass von finanziellen Sorgen geplagt ist. Dieser Moment ist nicht nicht nur für die Doha-Runde, sondern für den Handel selbst entscheidend. Laute Stimmen im gesamten politischen Spektrum, so auch in meinem eigenen Land, verlangen nach Protektionismus und liefern auch gleich die Begründung dazu. Dieser wirtschaftliche Isolationismus signalisiert eine Hoffnungslosigkeit, die die Verluste und nicht die Gewinne der Globalisierung einfährt. In dieser Epoche der Globalisierung werfen die Doha-Verhandlungen ihre Schatten weit über Handel und traditionelle Ökonomie hinaus. Diese Handelsgespräche sind ein entscheidender Probelauf für eine weltweite Vereinbarung zum Klimawandel. Die Ökonomie, die Handelsvereinbarungen zugrunde liegt, ist seit vielen Jahren allgemein akzeptiert. Wenn Verhandlungspartner aus 150 Volkswirtschaften die politischen Zugeständnisse der Doha-Runde nicht handhaben können, um sich die klaren Vorteile zu sichern, dann ist das kein gutes Omen für eine neue Vereinbarung zum Klimawandel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Umkehr des Ressourcenfluchs: Einführung der Transparenzinitiative im Rohstoffsektor++ Die hohen Preise, die heute für Energie und Mineralstoffe gelten, stellen für einige Kosten dar, bieten jedoch anderen in Entwicklungsländern gewaltige Chancen. Einige Länder haben ihre Rohstoffvorkommen als Sprungbrett für Entwicklung genutzt, für andere jedoch kann dieser Schatz zum Fluch werden. Sowohl reife Volkswirtschaften als auch Entwicklungsländer haben die Risiken dieser Sektoren erlebt: „duale“ Volkswirtschaften, die einen Großteil der Bevölkerung ausschließen; Korruption bei Lizenzvergaben und Begünstigungen; volatile Renditen, die Funktionäre in Versuchung führen und die Nachhaltigkeit von Haushalten und Wachstum schwächen; die „Holländische Krankheit“ von Wechselkursen, die von Rohstoffexporten getrieben werden und Handel und Beschäftigung auf breiterer Basis schädigen; „Vermietung“ von Ressourcen, die Konflikte zwischen profitgierigen Fraktionen schürt; gewaltige Kosten für die Umwelt; und sogar das Gefühl von Souveränitätsverlust, wenn einige wenige Privilegierte vom Ausverkauf des „nationalen Vermögens“ zu profitieren scheinen. Die Transparenzinitiative für den Rohstoffsektor (Extractive Industries Transparency Initiative – EITI) wurde 2002 vom britischen Premierminister Tony Blair mit der Zusage der afrikanischen Regierungschefs in der NEPAD (New Partnership for Africa’s Development) ins Leben gerufen. EITI verbessert die Regierungsführung in rohstoffreichen Ländern, indem sie die vollständige Veröffentlichung und Prüfung von Unternehmenszahlungen und Regierungseinkünften aus Öl, Gas und Bergbau verlangt. EITI hat sich zu einer internationalen Koalition aus Regierungen, der Weltbankgruppe, Öl-, Gas- und Bergbaugesellschaften, Industrieorganen, Anlegern und Organisationen der Zivilgesellschaft wie Transparency International, Oxfam und Global Witness entwickelt. Heute wenden vierundzwanzig Länder EITI an – siebzehn davon im Afrika südlich der Sahara. Aber die Transparenz der Einkünfte ist nicht genug. Um sicherzustellen, dass die hohen Preise für Energie und Rohstoffe auch zu Verbesserungen der Lebensumstände der Armen führen, arbeiten wir gemeinsam mit unseren Kunden in den Entwicklungsländern und anderen Partnern an der Ausweitung der von der EITI aufgestellten Konzepte Transparenz und gute Regierungsführung nach beiden Richtungen – wir wollen damit EITI++ zur umfassenden Ergänzung des ursprünglichen Projekts machen. Wir zeigen Schritte auf, wie die Rohstoffindustrie zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann, indem die Risiken entlang der Wertschöpfungskette angegangen werden. Auftragsvergabe, Überwachung von Abläufen, Einziehung von Steuern, Verbesserung des Rohstoffabbaus sowie wirtschaftliche Managemententscheidungen, bessere Handhabung der Preisvolatilität und die effektive Investition der Einkünfte in nachhaltige Entwicklung werden dazu gehören. Damit wir jetzt beginnen können, befassen wir uns mit der Konzeption einer Fazilität, die mithilfe einer weitaus schnelleren Bereitstellung von Hilfsmitteln als bei unserer traditionellen Kreditvergabe die Länderregierungen beim Aufbau ihrer Kapazitäten unterstützen soll. Wir werden an der Entwicklung und Verbreitung guter Praktiken, Standards und Verhaltensnormen arbeiten und Vorschläge für fiskalische, rechtliche und regulatorische Rahmenwerke unterbreiten. Für die Entwicklung dieser Ideen streben wir die stärkstmöglichen Partnerschaften mit unseren Kunden an, weil der Ansatz der „nationalen Eigenverantwortung“ der EITI++ ganz entschei dend für ihren Erfolg ist. Wir werden außerdem einen Beratungsausschuss aus Interessenvertretern zusammenstellen. Zum Beispiel arbeiten wir gemeinsam mit der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Afrikanischen Union, der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten und der Westafrikanischen Währungsunion an der Einführung von EITI++ in Guinea. Die erfolgreiche Erschließung des Rohstoffreichtums in Guinea kann die nachhaltige Entwicklung für die gesamte Region stärken. EITI++ kann umfassende und nachhaltige Globalisierung fördern, indem sie die Vorteile der Rohstofferschließung für mehr Menschen zugänglich macht. Korruptionsbekämpfung und Transparenz stärken das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen als Treuhänder des Gemeinwohls. Die Achtung der Umwelt wird zu nachhaltigem Wachstum beitragen. Und effektiver Zugang zu diesen Mineral- und Energieressourcen über Konjunkturzyklen hinweg wird die Nachhaltigkeit der Vorteile, die die Globalisierung bietet, auch für andere stärken. Eine „Ein-Prozent-Lösung“ für Kapitalbeteiligungen in Afrika Die wachsenden Volkswirtschaften Chinas, Indiens und Brasiliens sowie anderer Länder stellen neue Wachstumspole dar und führen damit zu Stärkung und Ausgleich der internationalen Wirtschaft. Sie sind neue „Interessenvertreter“ in der Globalisierung. Die Weltbankgruppe wird auch auf Möglichkeiten achten, um diesen Kunden zu helfen, wenn der Kreditsturm und die Liquiditätsdürre Kurs auf sie nehmen werden. Wir haben dabei auch ein übergeordnetes strategisches Ziel: Wir müssen es den im Wachstum begriffenen Volkswirtschaften Afrikas ermöglichen, in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu einem ergänzenden Wachstumspol zu werden. Ein Schritt in diese Richtung wird eine „Ein-Prozent-Lösung“ für Kapitalbeteiligungen in Afrika sei n, mit deren Ausarbeitung wir uns gerade befassen. Manche mögen staatliche Fonds als Quell der Besorgnis betrachten, wir sehen darin Chancen. Heute halten staatliche Vermögensfonds Werte in einer geschätzten Höhe von 3 Billionen USD. Wenn die Weltbankgruppe Plattformen für Kapitalbeteiligungen und Orientierungsgrößen schaffen kann, um diese Investoren anzuziehen, dann würde die Zuführung von nur einem Prozent ihres Vermögens 30 Mrd. USD für Wachstum, Entwicklung und Chancen in Afrika bringen. Dieses eine Prozent könnte der Anfang eines weitaus größeren Projekts über mehrere Fonds und Länder hinweg sein, weil die Investition von Vermögen in Entwicklungskapital Chancen bietet und kein Angstfaktor ist. Zweifler mögen ihr Haupt schütteln. Man denke jedoch einmal an die Unsicherheiten, die die Prognosen für China und Indien 1993 begleiteten. Fünf Jahre später blickte die Welt auf China, damit die Währungsstabilität in der Ostasienkrise gewahrt bliebe. Heute sind China und Indien Motoren, die zwar noch komplexen und schwierigen Problemen gegenüber stehen, das Wachstum aber vorantreiben. Ziele, die heute unmöglich erscheinen, können morgen schon selbstverständlich sein. Und wie steht es mit Afrika? Zwischen 1995 und 2005 legten 17 Länder im Afrika südlich der Sahara, die 36 Prozent der Bevölkerung ausmachen, , ein durchschnittliches Wachstum von 5,5 Prozent vor, und das ohne die Impulse großer Rohstoffvorkommen. Acht Ölfördernationen, in denen weitere 29 Prozent der Bevölkerung leben, wuchsen im selben Zeitraum im Durchschnitt um 7,4 Prozent. Diese Länder wollen auf dem Fundament der sozialen Entwicklung, wie sie in den MDGs festgeschrieben ist, aufbauen. Sie wollen wachsen. Sie brauchen günstige, verlässliche Energie, Infrastruktur, regionale Integration mit Zugang zu den Weltmärkten sowie stärkere Privatsektoren. Sie bieten Investmentchancen. Aus dem Recyceln der Petrodollar der 1970er haben wir gelernt, dass Kapitalbeteiligungen nachhaltiger sind als Schulden. Mehrere Fonds in Schwellenmärkten haben bereits mit langfristigen Investitionen in Afrika begonnen. Es ist eine Ironie der heutigen Weltwirtschaft, dass zwar die kurzfristige Liquidität verloren gegangen ist, langfristige Liquidität jedoch in reichem Maße vorhanden ist. Als Beispiel ziehe man nur die staatlichen Vermögensfonds heran, ein weiteres deutliches Merkmal der neuen Globalisierung und des wachsenden Einflusses der Entwicklungsländer. Einige staatliche Fonds bauen auf der Nachfrage nach Öl und anderen Rohstoffen auf. Andere wieder, vor allem in Ostasien, gingen aus dem Trauma von 1997/98 hervor: Zur „Selbstversicherung“ gegen Katastrophen auf den Kapitalmärkten legten Regierungen Reservepolster auf der Grundlage von Wechselkurspolitiken, Handelsüberschüssen und vorsichtiger Fiskalpolitik an. Staatliche Fonds dienen bereits als Stütze für die Rekapitalisierung von Finanzinstitutionen. Ich gehe davon aus, dass sie in den kommenden Monaten die Globalisierung weiter aufrecht erhalten und eine noch größere Reichweite zeigen werden – durch weitere Kapitalbeteiligungen, während der Abbau der Fremdfinanzierung der Finanzsysteme seinen Lauf nimmt und bessere Informationen die besten Käufe klären. Ja, die staatlichen Fonds brauchen Transparenz und müssen von besten Praktiken geleitet werden, damit eine Politisierung vermieden wird. Aber ich bin der Auffassung, dass wir die Gelegenheit feiern sollten, dass regierungsgestützte Fonds Kapital in die Entwicklung investieren. Die Weltbankgruppe kann, vor allem durch die IFC, bei der Verknüpfung langfristiger globaler Liquidität mit der Investitionschance in Afrika helfen. Die IFC hat seit ihrer Gründung rund 8 Mrd. USD im Afrika südlich der Sahara investiert, 160 Mio. USD davon allein im letzten Jahr. Die IFC richtet zwei neue Fonds zu 100 Mio. USD für Infrastruktur und Mikrokapital ein. Wir glauben, dass die Kapitalaussichten rasch expandieren. Die IFC arbeitet jetzt an einer offenen Architekturplattform für Fonds und nutzt dabei den Zugang, das Wissen und Kapital der IFC, begrüßt aber auch die Zusammenarbeit mit Regierungen und ihren Fonds. Wir können anderen Anlegern über die anfänglichen Hürden hinweghelfen, die sich bei der Investition in neue Kapitalbeteiligungen in Afrika ergeben. Wir können Ländern bei der Lösung rechtlicher Hindernisse helfen und die regulatorischen und Preisfindungsvorgaben für Infrastrukturinvestitionen verbessern. MIGA kann politische Risikoversicherung bieten. Dann können staatliche Vermögensfonds zu uns kommen, sogar mit uns investieren, und zwar nicht als weitere Quelle der Entwicklungshilfe, sondern vielmehr als langfristige Anleger. Unsere Position macht uns zu einem „bevorzugten Partner“. Genauso, wie das Projekt GEMLOC der Weltbankgruppe die Entwicklung von einheimischen Schuldtitelmärkten in den Landeswährungen der Entwicklungsländer als separate Vermögensklasse fördert, die gegen einen neuen Leistungsindex gemessen wird, können wir die Zuführungen der Investoren zu afrikanischem Kapital als tragfähige „Pionier“-Vermögensklasse fördern. Diese Vermögenswerte werden sowohl in geografischer Hinsicht als auch im Hinblick auf das Anlageinstrument die Ertragskraft und die Streuung der Portefeuilles vorteilhaft beeinflussen. Durch ihre Unterstützung bei der Erstellung neuer Indizes für Geldanlagen in Afrika wird die Weltbankgruppe auch Investoren anziehen, die Orientierungsgrößen für Performance benötigen. Dann können wir oder andere Institutionen Indexfonds für Afrika entwickeln. Im Lauf der Zeit können diese Instrumente ein breiteres Spektrum an Anlegern anziehen, so etwa auch Pensionsfonds. Diese „Ein-Prozent-Lösung“ ist ein Weg, um Afrika an den Gewinnen der Globalisierung teilhaben zu lassen. Sie ist eine Strategie, um das globalisierte System zu stärken, Wachstumsquellen hinzuzufügen und die Nachhaltigkeit der Globalisierung zu fördern. Schlussbemerkung: Bismarck sagte einmal, man erkenne einen Staatsmann daran, dass er Fortuna selbst im Vorbeieilen wahrnimmt, so dass er sie an ihrem Mantelsaum fassen kann. Das ist ein Augenblick der Staatskunst in der politischen Ökonomie. Alte Strukturen weichen auf. Neue Quellen der Wirtschaftskraft streben empor. Aber unsere Sicht ist durch die stürmischen Märkte getrübt, da Firmen und Finanzvermögen, die kommerziellen „Imperien“ unserer Zeit, verschwinden und wieder neu entstehen. Die Weltbankgruppe hat sechs strategische Themen skizziert, die uns die Notwendigkeiten und Chancen beim Vorbeieilen Fortunas aufzeigen. Sie richten unser Augenmerk auf neue Entwicklungslösungen für die ärmsten Länder, auf Staaten, die vor dem Zusammenbruch oder in der Konfliktfolgezeit stehen, auf Länder mit mittlerem Einkommen, auf die Integration von Gemeinwohl, wie etwa das Klima und seine Veränderung, in unsere Arbeit; auf Chancen in der arabischen Welt sowie auf die ständige Vertiefung unseres Wissens und Lernens. Unsere Aufgabe liegt darin, praktische Schritte zu unternehmen, und zwar jetzt, die Arbeit bedeuten und von einer strategischen Perspektive geleitet sind. Was ist grundlegender – in der Vergangenheit wie in der Zukunft – als Nahrung, Energie, Rohstoffe, Handel und der geregelte Fluss von Kapital in produktive Beteiligungen in chancenreichen Regionen, die durch gute Regierungsführung gestärkt werden? Die Chance einer sich ändernden globalen Landschaft ergreifen: das ist die Herausforderung an unsere ökonomische Staatskunst.